Niemand sollte hoffen, dass die Rückkehr des Dortmunder Ensembles ins frisch renovierte Schauspielhaus unter einem programmatischen Mysterium leiden muss. Wer fängt so einen Neustart ausgerechnet mit „Biedermann und die Brandstifter“ an. Klar, ausgerechnet die tragische Groteske von Max Frisch über den Fabrikanten Biedermann, der in einer Welt voller Brandherde einfach nichts falsch machen will, werden sie denken, ob das niemand als Omen begreift? Nein. Ist natürlich alles Quatsch, in erster Linie freuen wir uns auf normale Dimensionen, auf richtige Rampen und frisch bezogene Sessel. Lange, viel zu lange haben die Dortmunder auf ihr Stadttheater warten müssen, lange war alles irgendwie provisorisch, super provisorisch, aber irgendwie auch aufregend im Megastore, aber irgendwann muss auch wieder Schluss sein mit den weiten Ebenen. Ein Double-Feature mit „Fahrenheit 451“ ist die Eröffnungs-Premiere. Und während Biedermann noch kein gutes Gefühl hat, die zwei Fremden mit den Benzinfässern auf seinem Dachboden schlafen zu lassen, macht sich der Feuerwehrmann Guy Montag irgendwann, irgendwo auch Gedanken ums Feuer. Sein Job ist es, Bücher aufzuspüren und verzubrennen, bei einer Temperatur von 451 Grad Fahrenheit, um das Wissen der Welt zu verglühen. Nun, beide haben eine merkwürdige Reise durch die Glut. Hier Ray Bradburys Held, der sich auflehnt, dort die Resignation vor der Wahrheit, alles zusammengeschmolzen in einer Inszenierung. Das kann ja ganz schön hitzig werden.
Einen Tag später – ich rutsche schon auf Knien – mit „Übergewicht, unwichtig: Unform“ das europäische Abendmahl von Werner Schwab mit nur sechs Jüngern in einer Kneipe. Das Schwabische ferkelt in der zweiten Premiere der Spielzeit so dahin: „Da muss unserem Familienoberhaupt aber einmal das Schwänzchen himmelwärts aufsteigen, sonst ist es Essig mit den Hasenkindern, sonst bleiben die Kinder im Himmelszelt.“ Es ist ein Haufen, der in seinem Haufen lebt, der Langzeitstudent Jürgen, der notgeile Schweindi mit seiner Hasi, die Herti mit ihrem Schläger Karli sowie die stets vulgäre, exhibitionistische Fotzi, alles rammelt verbal so vor sich hin, bis ein junges, hübsches Paar das Lokal betritt und die Schwab’schen Körpermenschen aufbegehren. Nein, Abschaum sind sie nicht. Denn für sie hat Schwab, der 1994 viel zu früh in den Äther verschwand, nur ihre Sprache zertrümmert, die ist kaputt, am Ende, wie die sechs Kneipengänger auch. Die eigentliche Handlung ist kaum zu fassen, extremistisch überzeichnet wirken die Figuren. Ich hab extra noch einmal in die „Fäkaliendramen“ geschaut: Der aus der Sprache resultierende Dreck gehört sich selber und besorgt Klarheit, aber keine Einsicht. Das hoffte der Autor Schwab, und der suchte nie nach einer Erlösung durch körperliches Licht. Oder doch? Prost. Ach ja, Jörg Buttgereit kehrt in dieser Spielzeit auch wieder zurück. Was das mit Schwab zu tun hat? Keine Ahnung. Und das zu Weihnachten im Kinder- und Jugendtheater „Der gestiefelte Kater“ herumstolziert? Ich glaube auch nicht. Aber schön, dass es jetzt jeder weiß.
„Biedermann und die Brandstifter / Fahrenheit 451“ | Premiere: 16.12. 19.30 Uhr | Schauspielhaus Dortmund | www.theaterdo.de
„Übergewicht, unwichtig: Unform“ | Premiere: 17.12. 18.30 Uhr | Studio | www.theaterdo.de
„Der gestiefelte Kater“ | Premiere: 10.11. 19 Uhr | KJT | www.theaterdo.de
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