Ne gemischte Tüte für eine Mark, aber ohne Lakritz – das ist das Phänomen Bude für mich, ein Ort der unendlichen Süßigkeiten und ruhrgebietstypischer Kindheit. Im Studium holte man sich hier – nun ganz erwachsen ‚Trinkhalle‘ genannt – das eine oder andere Bierchen.
Am Montagabend ergab sich schließlich eine weitere Funktion dieser Orte, die sich mit den restlichen Erinnerungen passend verband: Bei Wassereis und Radler lauschten Kinder, Studenten und alle anderen Besucher innovativen Musikstücken auf der Bassklarinette. Denn an zwei Trinkhallen in Essen eröffnete das Quartett „Die Verwechslung“ ihre „Trinkhallentour Ruhr 2015“. Das Konzept: Improvisierte Musik an den sozialen Dreh- und Angelpunkten des Ruhrgebiets zu spielen. Die täglich wechselnden Titel stehen fest, der Rest ergibt sich als Zusammenspiel der vier Musiker Florian Walter, Patrick Hagen, Felix Fritsche, Markus Zaja mit ihren abwechslungsreichen Gästen. Am Auftaktabend der Tour sind Gitarrist Nico Hein und Lautpoetiker Mitch Heinrich zu Gast, der eine oder andere Musikfreund hatte nach kurzer Zeit bereits einen Schreckensmoment, als Hein die Nagelfeile auspackte, um seine Gitarre zu spielen.
An der ersten Location, im KiosK62, war „Die Verwechslung“ erst einmal solo unterwegs. Der unangenehme Nieselregen trieb uns in den kleinen, kuschelig warmen Kiosk. Hier wurde der Auftritt zum „Hochleistungssport“, aber gerade diese ungewöhnlichen, wenn auch engen Räume sollen mit der Musik des Quartetts erobert werden.

„Wir beginnen wie immer mit der Ouvertüre aus Stahl“ leitete Florian Walter dann das zweite Konzert des Abends in etwas prominenterer Lage vor der Trinkhalle an der Von-Seeckt-Str. 1 ein. Die ‚Setlist‘ beinhaltete tagesaktuelle, kreative, immer amüsante Musiktitel wie zum Beispiel „Merkel streichelt“, „Heute kaufe ich mir eine Insel“, „Schlangenledergummistiefelparanoia“ oder – besonders passend angesichts des Ortes – „Dosenbier macht schlau“, das auch irgendwie wie der Hangover am nächsten Morgen klang. Bei dem Lied „Rente jetzt“ stellte sich eine beinahe harmonische Ruhe in der Performance ein, bevor die beiden Gäste Hein und Heinrich ausrissen und auch mal ohne die Bassklarinettisten weitermachten.
Eine Darbietung, bei der auch Fahrradfahrer trotz Regen mal abstiegen und Menschen aus der Nachbarschaft herüberkamen, um zu „schauen, wo hier der Krach herkommt“. Der Eindruck ist richtig: so wirklich einordnen lässt sich die improvisierte Musik nicht und wir fragten uns: „Ist das Kunst oder wo ist die versteckte Kamera (neben der ganz offensichtlichen von RTL vor unseren Nasen)?“ Nicht umsonst sagte Florian Walter zum Schluss: „Danke fürs Kommen, und vor allem fürs Bleiben.“ Aber bestreiten kann keiner: Ein Besuch dieser außergewöhnlichen Performances lohnt sich, dank der immer anderen Gäste auch bestimmt mehr als einmal. Musik, die genauso verrückt ist, wie die gewählten Konzerträume.
Trinkhallen Tour Ruhr 2015 | Die Verwechslung und Gäste | 20.7.-7.8. jeweils 19 Uhr| www.trinkhallen-tour-ruhr.de
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