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Daniel Stoll, Florian Willeitner, Sander Stuart, Leonard Disselhorst (v.l.)
Foto: Harald Hoffmann

„Das Streichquartett in die Zukunft führen“

25. September 2025

Der Geiger Daniel Stoll über die Residenz des Vision String Quartets in der Tonhalle Düsseldorf – Interview 10/25

Das Quartett aus Stoll und dem Geiger Florian Willeitner, dem Bratscher Sander Stuart und dem Cellisten Leonard Disselhorst spielt seit 13 Jahren klassisches Repertoire und eigene Werke, zeitgenössische Klassik, Pop und Jazz. Für die Saison 2025/26 treten die vier Musiker eine Residenz in der Tonhalle Düsseldorf an.

trailer: Herr Stoll, was bedeutet die Residenz in Düsseldorf für das Vision String Quartet?

Daniel Stoll: Zuerst einmal, dass wir die Stadt gut kennenlernen. Wir haben acht Konzerte, und es freut uns, wenn wir nicht ständig auf Reisen sein müssen, sondern an einem Ort eine Beziehung zum Publikum aufbauen können. Das hebt sich von den standardisierten Konzerttourneen ab, bei denen man für ein Konzert an einen Ort kommt und dann weiterfährt.

Das Quartett ist für seine Vielseitigkeit bekannt. Was werden Sie dem Publikum der Tonhalle präsentieren?

Für uns als Ensemble ist es spannend, dass wir uns in Düsseldorf in unserer ganzen Bandbreite vorstellen können. Bevor die eigentliche Residence beginnt, treten wir am 8. November mit Igudesman & Joo auf, die nach 20 Jahren herrlichen musikalischen Humors zum letzten Mal als Duo die Bühne betreten. Dann spielen wir in der Abo-Reihe Sternzeichen mit den Düsseldorfer Symphonikern unter Alpesh Chauhan Ende November in drei Konzerten ein absolut fantastisches Stück, John Adams‘ „Absolute Jest“. Das passt gut zu uns, weil es eine wahnsinnige Energie hat und aus vielen verschachtelten Rhythmen lebt. Adams‘ Stück für Streichquartett und Sinfonieorchester verarbeitet vorrangig Motive aus späten Beethoven-Quartetten. Das Orchester wird dabei immer weiter durch das Streichquartett gepusht. Das wird eine große Party!

Spielen Sie auch Eigenkompositionen?

Eigene Stücke aus unserem Album „Spectrum“ präsentieren wir auch. Wir nennen sie wie unser Album, weil es schwierig ist, einen anderen Begriff zu finden. Crossover ist es nicht, weil wir nicht versuchen, klassische Musik mit Rock oder anderen Genres zu vermischen. Wir verwenden lediglich die Instrumente, mit denen wir auch klassische Musik spielen, lassen uns aber inspirieren von nichtklassischer Musik wie Funk oder Jazz und setzen das Quartett als Experimentierkorpus ein – was es ja ursprünglich war, bevor es etwas „eingestaubt“ ist. In der zweiten Hälfte dieses Konzerts spielen wir mit dem schwedischen Jazzpianisten Joel Lyssarides, mit dem wir kürzlich eine Platte aufgenommen haben, die hoffentlich bis März 2026 erschienen ist. Diesen Teil soll verschiedene lebendige europäische Folklore prägen, die wir mit dem Improvisatorischen des Jazz verbinden.

Wie sieht es mit dem „klassischen“ Repertoire aus? Werden Sie bestimmte Schwerpunkte setzen oder machen sie das Spektrum weit auf?

Das Ziel ist, das Spektrum weit zu öffnen. Im Konzert mit dem Kabarettisten Florian Schroeder als Moderator am 31. Mai 2026 spielen wir den ersten Satz des Konzerts für Streichquartett und Orchester von Louis Spohr – klassischer geht es kaum! Und beim Kammerkonzert gemeinsam mit dem Danish String Quartet am 22. Mai 2026 gibt es Felix Mendelssohn Bartholdys Oktett in Es-Dur, ein klassisches Juwel von überbordender jugendlicher Energie. In der zweiten Konzerthälfte spielen wir dann unsere und deren eigene Kompositionen und Arrangements.

Im Rückblick auf die Zeit legendärer Streichquartette wie dem Alban Berg Quartett: Wie fühlt sich dieses Erbe an? Hat sich die Kultur des Streichquartettspiels verändert?

Ich glaube, es ist dringend nötig, dass sich die Kultur des Streichquartettspiels insgesamt verändert. Was die großen alten Quartette gemacht haben, findet immer weniger Publikum. Damals haben sich viele Menschen für pures Streichquartett interessiert; das Alban Berg Quartett etwa hat große Hallen gefüllt. Das schafft heute kein einziges Quartett mehr.Ich würde sagen: Heute brauchen wir eine Mischung. Was wir unbedingt würdigen, ist die Ernsthaftigkeit, Ehrfurcht und interpretatorische Tiefe, mit der sich die alten Quartette der Musik genähert haben. Wir haben daher auch beim Primarius des Alban Berg Quartetts, Günter Pichler, studiert. Aber im 20. Jahrhundert ist das innovative Streichquartett zu kurz gekommen. Das Quartettspiel wurde immer konservativer und traditionsverhafteter. Dabei war das Streichquartett für Komponisten da, die für ein kleines Publikum von Kennern geschrieben haben und so viel mehr wagen konnten. Die späten Beethoven-Quartette zum Beispiel sind viel komplexer als seine Sinfonien! Diesen Aspekt wollen wir wiederbeleben und das Streichquartett in die Zukunft führen. Daneben jedoch auch die tolle Literatur des Repertoires in ihrer ganzen Bandbreite und Tiefe erkunden.

Stichwort Spielweise: Man kennt das noch gut, das gepflegte Zusammenspiel von vier älteren Herren, geprägt von langjähriger Zusammenarbeit, durch die sie phänomenale klangliche Subtilität und Tiefe erreicht haben. Aber zugleich klingt das oft etwas akademisch. Schlägt sich etwa die historisch informierte Aufführungspraxis in ihrer Spielweise nieder?

Ich glaube, man spielt heute weniger distanziert. Vergleichen Sie dazu zum Beispiel Filme: Die hatten in den Fünfzigerjahren eine ganz andere Machart als heute. Heute ist man näher dran. So würde ich das auch im Streichquartett sehen. Vielleicht war die Ehrfurcht des Publikums vor den Interpreten und die Ehrfurcht der Musiker vor der Musik, die sie verschanzt hinter Notenständern vortrugen, damals ein wenig der Geist der Zeit. Das Publikum war zwar Teil der Aufführung, sollte aber nicht einbezogen sein. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir wollen die Barrieren aufbrechen. Daher spielen wir zum Beispiel meistens ohne Noten. Wirsuchen den Kontakt zum Publikum, etwa in neuen Konzertformaten.

Zu beobachten ist, dass der Ton engagierter und unmittelbarer wird, auf Kosten der Subtilität, aber mit einem Mehr an innerer Dynamik. Wie empfinden Sie das?

Ich glaube, wir haben eine gute Abstimmung innerhalb des Ensembles. Das ist keine Frage der Generation. Die alten Quartette haben zum Teil jahrzehntelang miteinander gespielt, aber man merkt schon nach drei, vier Jahren, wie gut man sich kennt. Wir musizieren jetzt zwölf Jahre miteinander. Das sorgt schon dafür, dass wir quasi blind miteinander spielen können. Der Grad der Perfektion ist gemessen an früher insgesamt viel größer geworden. Das unterscheidet das Quartettspiel heute von damals. Der Klang eines Streichquartetts wird zum großen Teil durch die Intonation bestimmt. Die einzelnen Spieler können noch so schön und warm spielen, je nach Intonation wird ein gemeinsamer Klang unterschiedlich klingen. In den alten Streichquartetten haben die einzelnen Spieler viel mehr für sich geübt. Dafür wurde weniger zusammen geprobt. Heute probt man viel zusammen, um in jeder Situation auszutarieren, wie man intonieren möchte, um bestimmte Klänge zu erzeugen. Das ist viel aufwändiger als früher, bringt aber ganz andere Klangnuancen.

Interview: Werner Häußner

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