Ziemlich genau 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wächst im Konzerthaus Dortmund musikalisch zusammen, was einst harmonisch zusammen gehörte. „Musik ist die universelle Sprache der Menschheit“, formulierte 1835 der amerikanischer Dichter Henry Wadsworth Longfellow. In Europa hat sich für diese Rückführung besonders die auch politische Kapazität Daniel Barenboim eingesetzt, der israelisch-argentinische Künstler, der aktuell seine Parkinson-Erkrankung bekannt gab. Er hat sich einige Nachfolger herangezogen, die sich für friedliche Koexistenz der Völker stark machen – so den israelischen Pianisten und Dirigenten Lahav Shani, einen seelenverwandten Musiker mit ähnlichem Werdegang. Er vereint nun in Dortmund seine beiden Orchester auf der Bühne: das Israel Philharmonic Orchestra, dessen Chefdirigent er seit 2020 ist, und die Münchner Philharmoniker, deren Chefdirigent er ab 2026 sein wird.
Sie spielen an geteilten Pulten Mahlers „Tragische“, eines der ergreifendsten Werke des aus einer jüdischen Familie stammenden Komponisten. Zuvor erklingt „Prayer“, ein musikalisches Gebet des 1927 in Saarbrücken geborenen und früh nach Palästina emigrierten Tzvi Avni. Er gilt als einer der wichtigsten Komponisten Israels, dessen Werke auch immer einen gesellschaftlichen oder politischen Bezug nehmen – bei ihm fließt häufig die Musik in interdisziplinären Diskurs zur Bildenden Kunst oder Film.
Lahav Shani beendet an diesem Wochenende seine dreijährige Dortmunder Zeit als „Exklusivkünstler“, der sogar mit seinem jazzenden Bruder in einem Konzert mit der WDR Big Band eine stilistische Fusion vorstellen konnte. Dass er nicht nur am Dirigentenpult zuhause ist, hat er bereits mehrmals bewiesen. So nimmt er an einem Kammermusiktermin gemeinsam mit einem Mix aus Musikern beider Orchester am Flügel Platz. Er gedenkt auch hier des Kriegsendes, und zwar mit Schostakowitschs einzigem Klavierquintett, geschrieben in einer politisch zerrissenen Phase des Komponisten. Vor dem Hintergrund politischer Gräueltaten entstand auch Viktor Ullmanns Streichquartett Nr. 3 während seiner Gefangenschaft im Konzentrationslager Theresienstadt. Zudem beweist der Dirigent aber auch die neue Rolle eines jungen Dirigenten: Ein Primus inter Pares in seinen Orchestern, letztlich ein Teil des Ganzen, weg vom heroischen Despoten eines Halbgotts mit Dirigierstab; eine tolle zeittypische Aktion.
Lahav Shani & Friends | 10., 11.5 | Konzerthaus Dortmund | 0231 22 69 62 00
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