Er trägt eine opulente Leder-und-Nieten-Rüstung sowie – und das ist das Wichtigste – ein Bierfass hoch überm Haupt. Begleitet wird er von Fanfaren, Chören und schwerem Getrommel, als er zwischen den Bierzeltgarnituren hindurch schreitet. Barbarisch ist des Bierträgers Schrei, glücklich sein Gesichtsausdruck, als er vor der Bühne ankommt. Das Fass wird angestochen: Das Formosa Bierfest 2025 ist eröffnet!
Es ist mittlerweile Tradition, dass die Essener Hard-Rock-Band Formosa ihr eigenes Festival veranstaltet. Zum vierten Mal schon luden die vier Jungs dazu ein, fünf Rock- und Metal-Bands zu erleben (eine davon selbstredend Formosa selbst) und das selbstgebraute Bier von Gitarrist Nik Beer zu kosten.
Akustisches Warm-Up
Zum Eröffnungsritual gehört neben dem Bierfassanstich auch eine kleine Ansprache von Sänger Nik Bird und eine Vorstellung der erhältlichen Biere durch den ausgebildeten Braumeister sowie ein kleines Akustik-Set draußen im Biergarten. Diesmal gab es sogar noch ein zweites uneingestöpseltes Konzert: 50 Prozent der Band Snakebite gaben einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Bereits jetzt herrschte 100 Prozent gute Stimmung.
Um ehrlich zu sein: 99,82 Prozent. Ein grummeliger Gast (von 550, ausverkaufte Zeche Carl!) grantelte energisch wegen der langsamen Bedienung an der Biertheke – und bestellte, als er schließlich dran war, statt der Formosa-Biere ein Stauder aus der Flasche. Alle anderen Gäste schienen die Wartezeiten gelassen zu nehmen und lobten insbesondere das helle Bier Pyrite, benannt nach dem aktuellen Album der Band.
Australischer Opener
Den Anfang der lautstarken Konzerte machten Ablaze aus Australien. Die waren, so wird kolportiert, gerade auf Europa-Tournee und wurden dann kurzerhand von Formosa für ihr Bierfest gebucht. Die Spielfreude ist der Band anzusehen, insbesondere die Bassistin hüpft wild über die Bühne zu den Songs, die nach lauten Nächten und verwüsteten Hotelzimmern klingen. Sie machen ihren Job als Opener mehr als gut.
Als nächstes sind Snakebite dran, die ebenfalls ein Heimspiel in Essen haben. Hat „Princess of Pain“ zuvor auf der Biergartenbühne schon erahnen lassen, dass Power zu erwarten sein wird, so wird die nun vollends entfesselt. Die 80er Jahre sind mit voller Wucht zurück, mit ihren instant ins Ohr gehenden Refrains, den Mitsing-„Woohoo“s und den ratternden Riffs. Dazu noch die passenden Outfits und Attitüden – wo ist mein Kopftuch?
Liebevolle Klischees
Die folgende Band hat ihre Helden sicherlich auch in den 80ern, aber noch viel mehr im Power Metal seit den 2000er Jahren. Liebevoll nehmen Hammer King die Klischees der Szene aufs Korn und kreieren ein eigenes Universum um König- und Kaiser-Kult, aber eigentlich geht es um den gewaltigen Hammer. Musikalisch bewegen sich Hammer King in vertrauten Gefilden, hinterlassen aber ihre eigenen Spuren. Der Sound ist an manchen Stellen etwas unausbalanciert (wie man es auch von älteren Hammer-King-Platten kennt), aber eine Besucherin bringt es auf den Punkt: „Das hat mich gar nicht gestört, es hat trotzdem hammermäßig Bock gemacht.“
Zwischenspiel an der Biertheke: Das Boneshaker Dark Ale entpuppt sich als etwas stärkeres Alt, das aber nicht für den massenhaften Verzehr geeignet ist; man will ja noch die übrigen zwei Bands sehen. „Ihr wollt Craftbier, ihr kriegt Craftbier“, hat Brauer Nik Bier gesagt. Das Danger Pale Ale, kaltgehopft, macht die Trias komplett.
Heimspiel
Es überrascht nicht, dass der Saal bei den Gastgebern Formosa am vollsten ist. Einige Fans sind von weiter her angereist und jeder, inklusive Band, weiß: „Jedes Jahr war das Bierfest unsere beste Show“, wie Schlagzeuger Paris Jay im Gespräch mit dem trailer sagt. Und auch dieses Jahr dürfte sich das bestätigt haben. Im Vergleich zu den anderen Bands wirken Formosa weniger wild, aber nicht weniger kraftvoll. Sagen wir: Sie geben sich distinguierter – sofern man davon bei Rock ’n’ Roll überhaupt sprechen kann. Die Posen sitzen, die Soli auch, der Rhythmus hält den Puls konstant auf 120. Die Menge dreht frei, macht alles mit, was die Band will; es gibt sogar zeitweise einen Moshpit. Wild und frei. „Sold my soul for Rock ’n’ Roll“, heißt es nicht nur bei der Band, sondern auch bei ihren Fans.
Den Abschluss machen Crossplane, eine Ruhrgebiets-Combo, die den Rock ’n’ Roll bis zum Anschlag mit Räude füllt – und das ist absolut positiv gemeint, ihre Mucke ist schmutzig und rau. Die Menge hat sich verausgabt, ist aber noch längst nicht am Ende. Jetzt ist es Zeit für mehr Lautstärke und harte Riffs. Passender kann ein Bierfest nicht zu Ende gehen.
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