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Sebastian Lang-Lessing
Foto (Ausschnitt): Piljoo Hwang

„Liebe auf den ersten Blick“

30. Oktober 2025

Sebastian Lang-Lessing ist neuer Generalmusikdirektor am Theater Hagen – Interview 11/25

trailer: Herr Lang-Lessing, was hat Sie gereizt, diese Aufgabe zu übernehmen?

Ich war auf allen fünf Kontinenten Musikdirektor, aber noch nie in Deutschland. Ich wollte nun wieder nach Deutschland zurück und habe mich für eine feste Stelle interessiert. Nach der Absage von Hermes Helfricht hier in Hagen hat mich der designierte Intendant Søren Schuhmacher, den ich noch aus meiner Zeit an der Deutschen Oper Berlin gut kenne, angerufen und gefragt, was ich denn von Hagen halten würde. Dann wurde das Berufungsverfahren eröffnet und es hat sich eins zum anderen ergeben. Es war Liebe auf den ersten Blick: Ich habe hier ein super Team, fühle mich wahnsinnig wohl. Mit dem Orchester ergibt sich eine inspirierende Zusammenarbeit. Ich glaube, das Theater hat ein riesiges Potenzial und auch eine wichtige Aufgabe in der Stadt und in der Region.

Sie waren Hausdirigent an der Deutschen Oper Berlin, leiteten die Oper in Nancy, das Tasmanian Symphony Orchestra in Australien, das San Antonio Symphony Orchestra in USA und die Korean National Opera. Wie bringen Sie diese internationalen Erfahrungen in ihre Arbeit in Hagen ein?

Zunächst direkt im Repertoire: In Frankreich habe ich viel Französisches kennengelernt, in USA neues amerikanisches Repertoire. Generell konnte ich auf allen Kontinenten neue Musik kennenlernen, die ich mitbringe. Auch zuOrganisationsformen und Finanzierungsmodellen habe ich unterschiedliche Erfahrungen. Bei allem, was „Education“ (sprich: das Bildungsangebot, Anm. d. Red.) angeht, ist uns Amerika zum Beispiel um Lichtjahre voraus. Hier am Theater wird da glücklicherweise schon viel getan.Wir können festgefahrene Strukturen aufbrechen. Neue Konzertformate wie Gesprächskonzerte haben in Amerika einen höheren Stellenwert. Die Grenzen zwischen der sogenannten „E“- und „U“-Musik, also der „ernsten“ und „unterhaltenden“ Musik sind in Amerika durchlässiger. Man kennt unsere Berührungsängste nicht. Das beste Beispiel ist das Boston Symphony Orchestra, das sich mit seinen „Boston Pops“ nicht scheut, Unterhaltung zu präsentieren, damit ein großes Publikum erreicht und – nebenbei bemerkt – auch ordentlich Geld verdient. Das alles beeinflusst mich in meiner Sicht auf das Repertoire und inmeiner Anschauung, wie Musik rezipiert wird.

Vom Bildungsangebot über den Kontakt mit dem Publikum bis hin zur Kommunikation: Was macht man in den USA anders?

Ein Beispiel: Als ich in Houston Puccinis „La Bohème“ oder in Dallas Korngolds „Die tote Stadt“ dirigiert habe, war nach jeder Vorstellung ein „talk back“. Man geht nochmal vor den Vorhang und spricht mit dem Publikum, das geblieben ist. Das ist ein Format, das sich hier in Hagen auch durchsetzen könnte. Der Kontakt mit dem Publikum etwa bei Begegnungen nach der Vorstellung ist bei uns noch nicht so ausgeprägt. Wir brechen hier in diese Richtung auf und brauchen keine Angst zu haben – auch in der Kommunikation über Social Media, die wir ernster nehmen müssen. Die Kooperation mit der Privatwirtschaft bei der Finanzierung von ambitionierten Projekten wird ein weiteres wichtiges Thema, auch wenn das Sponsoring nicht den Umfang wie in den USA erreichen wird.

Zu Ihren Programmen: Sie bieten in dieser Spielzeit eine Mischung aus Zeitgenössischem, den großen Klassikern und Entdeckungen.

Keine Frage, wir spielen im Konzert große Standardwerke wie Dvořáks „Aus der Neuen Welt“, Bruckners Vierte, die C-Dur-Sinfonie Schuberts. Aber ich kombiniere sie immer mit dem Werk einer Komponistin, das zu Unrecht vergessen ist und verdient, in den Vordergrund gerückt zu werden. Vor Anton Bruckners Vierte setze ich am 16. Dezember Hildegard von Bingens Antiphon „O dulcissime amator“. Diese mittelalterliche Ordensfrau war eine der ersten namentlich bekannten Komponistinnen überhaupt. Ein spirituelles Programm, das wir mit Ausschnitten aus Wagners „Tannhäuser“ kombinieren.

Wie wollen Sie das Programm in den nächsten Spielzeiten weiterentwickeln?

Mit kommt es darauf an, eine Repertoire-Nische zu entwickeln, die unserem Klangkörper am besten entspricht. Wir sind kein groß besetztes Orchester, aber wir sind prädestiniert für die Klassik und die frühe Romantik von Weber bis Schumann, die bei den großen Orchestern etwas stiefmütterlich behandelt werden. Aufführungspraktisch wird diese Musik immer rückschauend betrachtet. Aber die musikalische Entwicklung im 19. Jahrhundert war ja rasend schnell. Da würde ich dem Orchester gerne eine eigene Klangidentität geben. Wir haben mit der Vierten von Felix Mendelssohn Bartholdy, der „Italienischen“, diese Spielzeit begonnen. Dafür sind wir die ideale Besetzung, denn diese Musik klingt nicht gut mit sechzehn ersten Geigen und acht Kontrabässen. Dieses Repertoire möchte ich mit der Musik unserer Zeit und mit Trouvaillen (sprich: wertvollen Entdeckungen, Anm. d. Red.) verbinden. In Frankreich habe ich die Sinfonie von Guy Ropartz ausgegraben – wunderschöne Musik, die in der kulturellen Säuberung der Nachkriegszeit unter den Teppich gekehrt wurde.

Die Aufführung vergessener oder vernachlässigter Werke hat an der Hagener Oper eine lange Tradition. Sie geht zurück auf die Intendanz des im Oktober mit 98 Jahren verstorbenen Manfred Schnabel von 1973 bis 1986. Haben Sie daran Interesse – und wenn ja, was interessiert Sie besonders?

Wir haben zwei Aufgaben am Theater: Wir müssen die Auslastung erhöhen, und da sind solche Unternehmungen nicht immer hilfreich, denn am Anfang ist es wichtig, das Vertrauen des Publikums zu gewinnen. Daher eröffneten wir die Spielzeit mit „La Traviata“. Hat man das geschafft, ist es einfacher, ohne Kassen-Selbstmord zum Beispiel die problematische „Genoveva“ von Robert Schumann zu bringen. Wir denken auch an eine szenische Aufführung der Johannespassion von Bach in einer Fassung, die Schumann 1851 für Düsseldorf geschaffen hat. Der Blick von Schumann auf diese Passion ist ja näher an Bach als der unsrige, trotz aller Bemühungen um eine informierte Aufführungspraxis. Außerdem gibt es eine Menge Opern des frühen 19. Jahrhunderts, die wir gar nicht mehr spielen. Da könnte einiges kommen.

Letzte Frage: Sie stammen aus Gelsenkirchen und kommen jetzt zurück in die Nähe Ihrer Heimat. Hat das für Sie eine Bedeutung?

Die Menschen im Ruhrgebiet sind einfach offen und herzlich. Ich glaube, jeder, der hierherkommt, gewinnt die Leute lieb und stellt fest, dass die Gegend lebenswert ist – ungeachtet der vielen Probleme. Die Naturschönheit gerade hier rund um Hagen, die bezaubert mich. Ich habe hier Familie und noch viele Freundschaften, da bin ich nun näher dran.

Interview: Werner Häußner

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