Ein glücklicher Ort ist die Mischanlage der Kokerei Zollverein in Essen eigentlich nie gewesen. In den Bunkern lagerte die Kohle für die Kokserzeugung, die riesigen Betontrichter führten in die dunkle Tiefe. Kein sauberer Arbeitsplatz, laut und ungesund. Geblieben sind dem Weltkulturerbe in den heute leeren Räumen der graue Beton, die spektakulären Blickachsen mit verwinkelten Gängen. Ein grandioser Ort für zeitgenössische Kunst, die vor der mächtigen Industrie-Innenarchitektur bestehen kann. Genau hier ist seit Ende Januar die Ausstellung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“ vom international renommierten Fotografen Martin Schoeller inszeniert. Das Foto-Projekt, das in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem entstand und an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor genau 75 Jahre erinnert, wurde sogar von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet, denn Schoeller zeigt in der Mischanlage weltweit zum ersten Mal seine großartigen Porträts von 75 Überlebenden.
Die Bilder, eine serielle Arbeit vor dem immer gleichen hellen Hintergrund, reflektieren die dunklen Räume auf merkwürdige Weise, immer blicken viele stille Augenpaare auf den Besucher. Tafeln unterhalb der Porträts enthalten den Namen und kurze Infos zu jeder Person. Mein erster Blick fällt zufällig auf Ruth Zuman, die als junges Mädchen aus einem Ghetto in Litauen floh und von christlichen Familien versteckt wurde. Alle schauen auf mich, aber das sind keine starrenden Blicke, alle zeugen von dem unvorstellbaren Leid, das sie erlebt haben,Gräuel die sie miterleben mussten wie die Ukrainerin Polina Belska, die eine Massenerschießung überlebte, weil sie für tot gehalten wurde. Alle haben diese Trauer in den Augen, eine universelle Trauer, die das persönliche Schicksal überdeckt, denn sie gehören zu den letzten noch lebenden Augenzeugen, die sich in ihrem Hier und Jetzt zeigen, auch um der Zukunft zu dienen, die ein Vergessen, Verharmlosen oder sogar Leugnen nie zulassen darf.Von einem Rekorder schwebt leise John Lennons „Imagine“ an den Betonwänden entlang, ich schaue in die Augen von Rabbi Israel Meir Lau, der Pole wanderte vom Arbeitslager nach Buchenwald und trägt als einziger einen Hut, einige Männer fast unsichtbar die Kippa; „nothing to kill or die for, and no religion, too“.
Survivors. Faces of Life after the Holocaust | bis 26.4. | Kokerei Zollverein, Essen | 0201 24 68 10
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Denkinseln im Salzlager
Osteuropäische Utopien in Essen – Ruhrkunst 08/24
Digital natürlich
New Now Festival auf Kokerei Zollverein – Ruhrkunst 07/23
Blicke hinter die Abwasserrinne
„Beyond Emscher“ in der Kokerei Zollverein in Essen – Kunstwandel 11/22
Blicke hinter die Abwasserrinne
„Beyond Emscher“ in der Kokerei Zollverein – Kunstwandel 09/22
Zollverein, hier dreht sich alles um Kohle
Der Weg des Geldes: auf der Suche nach 1,4 Millionen Besuchern – Nachgefragt 12/18
Drei Tage Love and Peace
Essen bebt. Der NRW-Tag 2018 – das Besondere 08/18
Tanz und Reflexion
PACT Zollverein beherbergt die Tanzplattform 2018 – Tanz an der Ruhr 03/18
Der Raum und seine Verknappung
Wohnungsbau-Ausstellung auf Zollverein – das Besondere 02/18
Dokumente aus der Steinstaubzeit
Josef Stoffels und die Zechen im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/18
Ohne Anfang oder Ende
„Design im Zeichen des Kreises“ auf Zollverein – Ruhrkunst 02/17
Vor der Schüppe das Spotlight
„Rock und Pop im Pott“ auf Zollverein – Ruhrkunst 08/16
Arbeit, Staub und Spaß
Essener Ruhrmuseum auf Zollverein zeigt „Chargesheimer – Die Entdeckung des Ruhrgebiets“ – Kunstwandel 08/14
Imdahls Sehschule
50 Jahre RUB-Kunstsammlung in Bochum – Ruhrkunst 09/25
„Er fragt auch nach den Bezügen zu Europa“
Kurator Tobias Burg über „William Kentridge. Listen to the Echo“ im Essener Museum Folkwang – Sammlung 08/25
Formationen lesen
Amit Goffer im Haus Kemnade – Ruhrkunst 08/25
Appetithäppchen
Westdeutscher Künstlerbund (WKB) in Witten – Ruhrkunst 08/25
Geschichten und Gegenwart
Miriam Vlaming in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 08/25
„Auch mal am Tresen entstanden“
Leiterin Christine Vogt über die Ausstellung zu Udo Lindenberg in der Ludwiggalerie Oberhausen – Sammlung 07/25
Realismus des Alltags
Paula Rego im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 07/25
Nachtspaziergang im Keller
„Light-Land-Scapes“ in Unna – Ruhrkunst 07/25
Viel zu tun
RUB-Sammlungen im MuT Bochum – Ruhrkunst 07/25
„Der Beton ist natürlich sehr dominant“
Die Kurator:innen Gertrud Peters und Johannes Raumann zu „Human Work“ in Düsseldorf – Sammlung 07/25
Die „Zweite Schuld“ der Justiz
Ausstellung zur NS-Vergangenheit des Bundesjustizministerium im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Ausstellung 06/25
In der Kunstküche
„Am Tisch“ und Medienkunst im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/25
Women first!
Judy Chicago in Recklinghausen – Ruhrkunst 06/25