Urbane Künste Ruhr macht es möglich: die Wiederentdeckung des „Palace of Projects“, seit 2001 im Salzlager auf Zollverein fest installiert. Rund um den begehbaren Schneckenhaus-Turm von Ilya und Emilia Kabakov, randvoll mit fantastischen, verträumten, verspielten Projektideen zur Verbesserung der Welt und allen Lebens, versammelt sich anlässlich der Ruhrtriennale zeitgenössische Kunst: Objekte, Installationen und Videos von 17 Kunstschaffenden aus Osteuropa. Die Kabakovs selbst hatten die ehemalige UdSSR schon in den 1970er/80er Jahren verlassen. Einige junge Künstler gingen nun auch in den Westen, andere arbeiten in ihrem Heimatland. Was alle verbindet: die „Suche nach vergangenen und zukünftigen Utopien“. Sie erforschen ihr Land und seine Industrielandschaften, leisten Erinnerungsarbeit und entwickeln Visionen. Auch wenn die kleinteilige Präsenz der 10 „Denkinseln“ im Salzlager es nicht mit dem monumentalen, in goldenes Licht getauchten Palace of Projects aufnehmen kann: Es lohnt, sich einzusehen und einzulesen, die Ausstellungsbroschüre ist hilfreich.
Drei Arbeiten stehen draußen vor dem Tor. Der Nachbau der „Biotechnosphere“ des Visionärs Fedir Tetianych (1942–2007), eine 1-Personen-Überlebenskapsel auf Rädern, verschmilzt perfekt mit dem Kokerei-Ambiente, als wäre sie von hier. Dabei stand das Original in der ukrainischen Stadt Popasna, die im Krieg 2022 komplett zerstört wurde. Nikita Kadans beklemmender „The Popasna Corner“ dokumentiert die Verluste und erinnert mit Film, Fotos und Zeitleiste auch an das liebevoll über Jahre von einem Privatgelehrten bestückte Heimatmuseum, das nicht mehr existiert.
Zhanna Kadyrovas fertigt starke steife Kleidung aus Fliesen von abgerissenen Häusern. Gewebte Bilder erinnern an die sowjetische Textilproduktion. Erinnerungsarchitekturen stehen neben KI-generierten Zukunftsträumen von bunt wuchernder Waldwildnis, während Jana Gunstheimer mit fotorealistischen Grafitzeichnungen DDR-Tristesse erzeugt. In bequemen Massagesesseln chillend sieht man derweil Uli Golubs animierte Oma ins Weltall starten.
Man kann hier Stunden verbringen, allein im „Kinopavillon“ die komplette 7-stündige Öffnungszeit mit 20 Videowerken von 7 Künstlern. Also mehrmals vorbeischauen: Der Eintritt ist frei, zur Ausstellungszeit auch für Kabakovs „Palast“.
Landscapes of an Ongoing Past | bis 22.9. | Salzlager, Kokerei Zollverein, Essen | www.zollverein.de
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