Am scheinbaren Ende des schnöden „Pandemischen Zeitalters“ ist es wieder so weit. Die von undurchschaubaren Kräften einer Monatszeitschrift geadelte deutschsprachige „Schreiber*innen-Schickeria“ balgt sich wieder vehement mit Uraufführungsinszenierungen um den mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikpreis. Bei den Mülheimer Theatertagen „Stücke 2022“ heißt das für die Nominierten: Fokus aufs Zeitgenössische.
Da geht es um die Begriffserweiterung von „White Passing“ (Sarah Kilter) oder den Menschen an sich auf dem schmelzenden „Monte Rosa“ (Teresa Dopler). Nicht nur Corona, auch Sprache kann nicht erst seit Laurie Anderson ein Virus sein. Elfriede Jelineks „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ ist ein gutes Beispiel für das Schreiben im Hier und Jetzt (nächstes Jahr kommt sicher der Ukraine-Krieg dran) und auch für die Möglichkeiten, die Sprache immer noch hergibt, um die Widrigkeiten epidemischen Handelns wütend und maskenlos in die Zuschauersäle zu spucken. Die österreichische Nobelpreisträgerin ist und bleibt ein permanentes Highlight auf deutschsprachigen Bühnen.
Der nächste Blick auf die Gegenwart ist eine Auftragsarbeit für die Münchner Kammerspiele. Nora Abdel-Maksouds Satire „Jeeps“ thematisiert das Erbrecht als gesellschaftliche Falle und Chance zugleich. Hieß das bei Warren Buffett noch „Eierstock-Lotterie“, so heißt es nach einer Erbrechtsreform bei der Autorin nun „Lostrommel-Chance“. Nicht mehr die Abstammung entscheidet über vererbte Vermögen, sondern ein großes Los – passenderweise im Arbeitsamt.
Die zwölf besten neuen Stücke sind also eingeladen: sieben für Erwachsene, fünf für Kinder. Mehr als 200 deutschsprachige Uraufführungen in Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg und der Schweiz wurden dafür gesichtet, so viele wie in keiner anderen Saison zuvor. Schauen wir auf die Jüngsten. Da geht es um Normen („Als die Welt rückwärts gehen lernte“ von Lena Gorelik) und Altersdemenz („Oma Monika – was war?“ von Milan Gather), und da erwachen mal wieder Actionfiguren nachts zum Leben („Zeugs“ von Raoul Biltgen). Noch gibt es keinen Krieg in deutschsprachigen Kinderzimmern.
Stücke 2022 | 7. bis 26. Mai | div. Orte in Mühlheim a. d. Ruhr | 0208 455 41 14 (Vorverkauf ab 5.4.)
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