Ein Esel protestiert gegen Ausbeutung, ein Hund liest marxistische Theorie, ein Huhn preist in der Schlachtfabrik den Kommunismus und eine Katze ruft zum Sturz des Systems auf. Stadtmusikanten meets Schätzings „Schwarm“, so könnte man den Inhalt von Martin Heckmanns neuem Stück „Was Besseres als den Tod finden wir überall“ um ein revolutionäres Quartett beschreiben.
Heckmanns Aufstandsutopie ist eines von insgesamt acht Erwachsenen-Stücken und fünf Kinder-Stücken, die zwischen dem 13.Mai und dem 6.Juni bei den Mülheimer Theatertagen in Aufführungen vorgestellt werden. Am Ende wird die Preisjury die beiden besten Autorinnen oder Autoren mit dem mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Theaterpreis auszeichnen. Es gibt in diesem Jahr gleich mehrere Wut-Stücke, die ihrer Empörung freien Lauf lassen. Die Granddame der Textfläche Elfriede Jelinek überzieht in „Angabe zur Person“ am Beispiel der Steuerbehörden strebsame Staatsdiener mit ihrem kritischen Furor; und die gerade mit dem Theaterpreis Berlin ausgezeichnete Sivan Ben Yishai holt über 50 Jahre nach Handkes legendärer „Publikumsbeschimpfung“ zur „Bühnenbeschimpfung“ aus mit einer komisch-abgründigen Suada zu Machtmissbrauch, Narzissmus, Rassismus usw.
Dann dürfen auch in diesem Jahr einige klassische Problemstücke nach Mülheim reisen, die die derzeit virulenten Diskurse weiterspinnen. Vorneweg „Sistas!“ vonGolda Barton/Glossy Pain, das den Plot von Tschechows „Drei Schwestern“ aktualisiert und auf eine US-Militärbasis in Berlin verlegt, wo sich drei Frauen als Kinder eines schwarzen GI über ihre Rassismuserfahrungen unterhalten – ohne Opfergestus oder pauschale Anklagen. Eher an Kafka und zeitgenössischen Trans-Diskursen orientiert kommt Caren Jeß‘ Monolog „Die Katze Eleonore“ daher, in dem sich eine erfolgreiche Immobilienmaklerin allmählich in eine Katze verwandelt.
Ergänzt wird die Auswahl an Erwachsenenstücken durch Katja Brunners komplexes Post-Pandemie-Stück „Die Kunst der Wunde“, Clemens Setz‘ „Der Triumph der Waldrebe in Europa“ und schließlich den Mülheim-Urgesteinen René Pollesch/Fabian Hinrich mit „Geht es Dir gut?“, das mit seinem Gestus der Erschöpfung, der Müdigkeit und Selbstkritik die derzeitige (Theater-)Lage vielleicht fast schon exemplarisch reflektiert.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Schreiben fürs Hier und Jetzt
„Stücke 2022“ in Mühlheim an der Ruhr – Prolog 04/22
Die Welt in Stücken
Alternative Theater-Fakten? Kampf um den Mülheimer Theaterpreis – Prolog 04/17
Schreiben für hier und heute
Die 41. Mülheimer Theatertage NRW „Stücke“ – Theater Ruhr 04/16
Tausch zwischen Wien und Köln
Kay Voges wird Intendant des Kölner Schauspiels – Theater in NRW 09/23
Folgerichtiger Schritt
Urban Arts am Theater Oberhausen – Theater in NRW 08/23
Neue Allianzen
Bühnen suchen ihr Publikum – Theater in NRW 07/23
Interims-Intendant für den Neuanfang
Rafael Sanchez leitet ab 2024 das Schauspiel Köln – Theater in NRW 06/23
Knappheit und Kalkulation
Besucher:innenzahlen am Theater steigen – Theater in NRW 03/23
Gegen Ausbeutung und Machtmissbrauch
Klassenkämpferischer Wind weht durch die Theater – Theater in NRW 02/23
Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Bessere Konditionen
EU stärkt Solo-Selbstständige im Theater – Theater in NRW 11/22
Internationale Vernetzung
Olaf Kröck verlängert Vertrag bei den Ruhrfestspielen – Theater in NRW 10/22
Dunkle Fassaden
Das Theater und die Energiekrise – Theater in NRW 09/22
Neue Präferenzen
Ina Brandes ist neue NRW-Kultur- & Wissenschaftsministerin – Theater in NRW 08/22
Dortmunder Turbulenzen
Schauspielchefin Julia Wissert unter Druck – Theater in NRW 07/22
Keine Berührungsängste
Ivo van Hove leitet ab 2024 die Ruhrtriennale – Theater in NRW 06/22
Theater als „Schule der Empathie“
Kara und Zintl leiten zukünftig das Schauspiel Essen – Theater in NRW 05/22
Das Njet aus der Komfortzone
Russisch-ukrainische Konflikte im deutschen Theater – Theater in NRW 04/22
Freunde und Netzwerke
In Dortmund wurde ein neuer Festivalverbund gegründet – Theater in NRW 03/22
„Unverzichtbarkeit von Theater“
Schmitz als geschäftsführende Direktorin des Bühnenvereins – Theater in NRW 02/22
Mehr Sichtbarkeit
Claudia Roth ist die neue Kulturstaatsministerin – Theater in NRW 01/22
Erbe und Experiment
Boris Charmatz leitet ab 2022 das Tanztheater Wuppertal – Theater in NRW 12/21
Der raue Charme des KAP1
Das FFT in Düsseldorf bezieht eine neue Spielstätte – Theater in NRW 11/21
2G oder 3G?
Die Theater zwischen Landesverordnung und Sicherheitsgefühl – Theater in NRW 10/21