Neulich im Supermarkt. Durch übermäßigen Reinigungswahn war mir das Shampoo ausgegangen, und so irrte ich durch die Gänge mit Tonnagen an Hundefutter und Katzenstreu, vorbei an zehn unterschiedlichen Versionen von Toilettenpapier, immer wieder angefeuert von einer sonoren Stimme aus dem Himmel, die mich auf die Angebote der Woche aufmerksam machte, natürlich nicht auf preiswertes Haarwaschmittel.
Dann hatte ich leicht transpirierend die zehn Meter Regalfront mit Pflegeprodukten erreicht, sah zwischen Angeboten gegen trockene Kopfhaut, fettige Haare, oder für die endgültige Vernichtung von Schuppen noch keine Lösung für meine paar gebliebenen Fussel, als vom Himmel nicht mehr die sonore Stimme säuselte, sondern die aktuellen Nachrichten aus dem Radio verlesen wurden. Schon wieder Wahl in NRW, wieder ein verlorener Sonntag, an dem man zu Hause sein müsste, wenn man nicht den Papierkram-Weg wählt. Mein Blick fällt aufs Shampoo für den echten Mann, der neben kernigen Düften auch noch hervorragende Grauabdeckung wünscht, dummerweise haben wir eine Ministerpräsidentin, die jetzt auch bei der Auswahl nicht behilflich sein könnte. Also Frage an die männliche Ein-Euro-Kraft, die gerade die Lücken in den Regalen füllen muss, er war früher bei Nokia, jetzt sei er bei der Arge. „Nehmen sie doch das hier“. Er zeigt auf ein echtes Billig-Schnäppchen. Das nähmen viele.
Was viele nehmen, muss ja nicht gut sein, denke ich, ist vielleicht einfach nur billig, giftig und wird von kleinen braunen Kinderhänden abgefüllt, und suche erst einmal radiounterstützt weiter. „Rund zwei Monate vor dem Wahltermin liegt die SPD vor der CDU: Beim Politbarometer kommt die CDU zurzeit auf 34 Prozent, die SPD auf 37 Prozent, die Grünen auf 13 Prozent, die FDP nur noch auf zwei Prozent, Linke auf vier Prozent und die Piraten auf sechs Prozent“. Ich grinse, denke an das No Name-Billigschnäppchen und überlege tatsächlich, was ich denn nun wählen würde, wenn morgen Wahl wäre. „Diese Woche im Angebot: griechischer Schafskäse ...“ Vom Himmel gibt’s wieder Dauerbeschuss an Angeboten, von den Parteien gibt es das nicht, mir als Kulturmensch ist die Wahl sowieso ziemlich schnuppe, alle Parteien sind gleichmäßig kulturlos. Genau so schnuppe, wie den Politclowns das nordrhein-westfälische Stimmvieh ist. Wir müssen wählen, weil denen die letzte Wahl nicht in den Kram gepasst hat, oder weil wir einfach nicht richtig gewählt haben. Wenn alle wieder genauso wählten wie 2010, was dann? Wird dann alle drei Monate weitergewählt, bis bei einer Wahlbeteiligung von 10 Prozent nur noch FDP-Wähler was in die Urne werfen? Ich hätte eine Idee: Wenn alle MdLs, die jetzt gewählt waren, im nächsten Landtag nicht mehr vertreten sein dürften ... Na, was glauben Sie – müssten wir dann jetzt wählen? Niemals. Die Angst vor dem Verlust von Alterssicherung (denken wir auch an Duisburg), Einfluss (denken wir an Kraft), Karrierechancen (siehe Röttgen) wäre übermächtig. Langsam steigt mir der Mageninhalt hoch (keine Angst, natürlich nur bildlich), ich greife einfach zu, fahre nach Hause. Glanzshampoo für feines Frauenhaar. Mist. Daneben gegriffen. Wie bei der letzten Landtagswahl.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24
Außerhalb der Volksgemeinschaft
Vortrag über die Verfolgung homosexueller Männer in der NS-Zeit in Dortmund – Spezial 04/24
„Ruhrgebietsstory, die nicht von Zechen handelt“
Lisa Roy über ihren Debütroman und das soziale Gefälle in der Region – Über Tage 04/24
Unterschiedliche Erzählungen
Vortrag zur Geschichte des Nahostkonflikts in Bochum – Spezial 03/24
„Was im Ruhrgebiet passiert, steht im globalen Zusammenhang“
Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken über den Strukturwandel – Über Tage 03/24
Geschichte der Ausbeutung
„Wie Europa Afrika unterentwickelte“ im Bochumer Bahnhof Langendreer – Spezial 02/24
„Einer muss ja in Oberhausen das Licht ausmachen“
Fußballfunktionär Hajo Sommers über Missstände im Ruhrgebiet – Über Tage 02/24
„Mir sind die Schattenseiten deutlicher aufgefallen“
Nora Bossongüber ihre Tätigkeit als Metropolenschreiberin Ruhr – Über Tage 01/24
„Hip-Hop hat im Ruhrgebiet eine höhere Erreichbarkeit als Theater“
Zekai Fenerci von Pottporus über Urbane Kultur in der Region – Über Tage 12/23
Suche nach Klimastrategien
Gespräch im Essener LeseRaum Akazienallee – Spezial 11/23
„Das Ruhrgebiet erscheint mir wie ein Brennglas der deutschen Verhältnisse“
Regisseur Benjamin Reding über das Ruhrgebiet als Drehort – Über Tage 11/23
„Kaum jemand kann vom Schreiben leben“
Iuditha Balint vom Fritz-Hüser-Institut über die Literatur der Arbeitswelt – Über Tage 10/23
Irrweg deutscher Migrationspolitik
„Blackbox Abschiebung“ in Düsseldorf – Spezial 09/23
„Es hat mich umgehauen, so etwas Exotisches im Ruhrgebiet zu sehen“
Fotograf Henning Christoph über Erfahrungen, die seine Arbeit geprägt haben – Über Tage 09/23
Diskursive Fronten überwinden
„Produktives Streiten“ in Mülheim – Spezial 08/23
Erinnern heißt Widerstand
Sommerfest des Fritz Bauer Forums in Bochum – spezial 08/23
„Man könnte es Stadtpsychologie nennen“
Alexander Estis ist für sechs Monate Stadtschreiber von Dortmund – Über Tage 08/23
Metaphern, Mechaniken, Meisterschaften
Offener Tag im Flipperverein Freeplay.ruhr in Herten – Spezial 07/23
Spaß an der Transformation
Gutes Klima Festival in Essen – Festival 07/23
Ich glaub‘, mein Sein pfeift
Vortrag über Mensch-Tier-Beziehung in Dortmund – Spezial 06/23
Abschottung gegen Schutzsuchende
Vortrag über die Fluchtsituation auf der Balkanroute in Duisburg – Spezial 06/23
„Für Start-ups sind die Chancen in Essen größer als in Berlin“
Unternehmer Reinhard Wiesemann über wirtschaftliche Chancen im Ruhrgebiet – Über Tage 06/23
Schwarze deutsche Feministinnen
Tiffany Florvil liest in Dortmund – Spezial 05/23
Wie Gefängnisse Kriminalität fördern
Rechtsanwalt Thomas Galli sprach in Bochum über Strafvollzug
„Radikale Therapien für die Innenstädte“
Christa Reicher über die mögliche Zukunft des Ruhrgebiets – Über Tage 05/23