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Mit dem Panter-Preis geehrt: Tely Büchner und Thomas Schmidt vom Erfurter Kulturquartier
Foto: Kyaw Soe

Der deutschen Identität entkommen

09. Juli 2025

Verleihung des taz Panter-Preises in Bochum – Spezial 07/25

Raus aus der „Berliner Bubble“, hieß es am Wochenende für die Tageszeitung taz. Die Verleihung des diesjährigen Panter-Preises für zivilgesellschaftliches Engagement wurde deshalb mitten ins Bochumer Bermudadreieck in die Kneipe Three Sixty gelegt. Dass die Veranstaltung parallel zum Musikevent Bochum Total stattfand, war Absicht. So konnte man nicht nur mehrere Dutzend Gäste vor Ort und einige Hundert am Livestream begrüßen, auch die Zaungäste wurden eingeladen, sich der taz-Community anzuschließen. Sie reagierten mit einer Mischung aus Neugier und Zurückhaltung, bedienten sich beim Merchandise oder suchten den Dialog. Nur ein älterer Mann mit Fahrrad reagierte allergisch und grummelte in seinen Bart: „Scheiß taz!“. Die ausgelegten Wochenendausgaben der taz ließ er liegen. Eine Ausnahme, denn am Ende der Veranstaltung waren die meisten Exemplare weg.

„Wir sind mit der Resonanz zufrieden“, sagte Gemma Terés Arilla, Leiterin der taz Panter-Stiftung hinterher; es gehöre dazu, auch den Widerspruch auszuhalten. Bei der Anmoderation zur Preisverleihung war sie noch deutlicher. „Wir hören immer häufiger, dass Demokratie geschützt und gefördert werden muss. Uns als Stiftung beschäftigt dabei nicht nur der Aufstieg der AfD, sondern auch, dass rechtsextreme Narrative in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und dadurch zivilgesellschaftliche Engagement immer schwieriger wird.“ Die Panter-Stiftung sei aber gegründet worden, um konstruktiv zu wirken, weshalb das Motto des diesjährigen Panter-Preises auch laute: „Zusammen:Halt – für ein friedliches und menschliches Miteinander“.

Eine ostdeutsche Initiative

Seit 20 Jahren zeichnet die Panter-Stiftung zivilgesellschaftliches Engagement aus und vergibt dafür zweimal im Jahr den mit 5.000 Euro dotierten taz Panter-Preis. In Bochum wurde das Erfurter Kulturquartier Schauspielhaus ausgezeichnet, das sich in der Endrunde gegen drei weitere Nominierte durchsetzen konnte. Die Gruppe, besteht aus rund 70 Ehrenamtlichen, die das seit 2003 geschlossene Schauspielhaus Erfurt wiederbeleben wollen. In Zusammenarbeit mit anderen Kulturprojekten soll das Haus in einen kulturellen Begegnungs- und Bewegungsraum verwandelt werden, der ab 2026 schrittweise eröffnet werden soll – ein Hoffnungsschimmer in Zeiten, in denen gerade freie Theater und Gruppen von massiven Kürzungen betroffen sind und nicht selten schließen müssen.


Laudator Jan Scheper (r.) mit den Nominierten und Moderator Gereon Asmuth (m.), Foto: Kyaw Soe

Tely Büchner und Thomas Schmidt, die den Preis für den Vorstand des Kulturquartiers entgegennahmen, waren entsprechend „sprachlos, aber unglaublich stolz“. Netter Nebenaspekt: Sie waren die einzige ostdeutsche Initiative, die nominiert worden war und freuten sich darüber, den Preis ausgerechnet „im Westen“ zu erhalten. Vor einem Monat war es genau andersherum. In Halle, Sachsen-Anhalt, war der erste von zwei Panter Preisen an das Bündnis Kaiserslautern gegen Rechts verliehen worden.

Doch auch die anderen Nominierten hätten den Preis verdient gehabt. Laudator Jan Scheper, ehemaliger Mitarbeiter der taz, sagte auch in ihre Richtung: „Ihr fordert Leitplanken für das Miteinander ein. Rücksichtnahme, Akzeptanz, Verständnis, Achtung. Und ihr fordert immer das notwendige Gespräch dazu ein“, oder, wie er als Kind des Ruhrpotts ergänzte: Sie kümmerten sich um „dat, wat wichtig ist“.

Wichtig ist zum Beispiel das Engagement von Queermed, die ebenfalls nominiert waren. Die von Samson Grzybek gegründete Initiative setzt sich für eine diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung ein, die für marginalisierte Gruppen leider immer noch nicht selbstverständlich ist. Dazu gehört ein deutschlandweites Verzeichnis, in dem sensibilisierte Ärzt:innen und Therapeut:innen aufgelistet sind, außerdem stellen sie Aufklärungsmaterialien für medizinisches Personal bereit. „Die Patient:innen erfahren Diskriminierungen, Grenzüberschreitungen oder ihnen wird nicht geglaubt; genau das wollen wir durch das Verzeichnis verhindern“, sagt Grzybek. Dass es damit allein nicht getan ist, wissen alle Nominierten und Grzybek spricht aus, was im zivilgesellschaftlichen Engagement oft zu kurz kommt: „Wir brauchen ein komplettes Umdenken, weg vom kapitalistischen Gesundheitssystem, hin zu den Bedürfnissen der Patient:innen.“   

An historischer Stätte

Moderator Gereon Asmuth, gebürtiger Bochumer und seit vielen Jahren Redakteur bei der taz, wies darauf hin, dass auch Bochum Total vor beinahe fünf Jahrzehnten aus dem zivilgesellschaftlichen Engagement heraus entstanden sei – damals sei es ein Experiment mit offenem Ausgang gewesen, Stühle und Tische auf die Straße zu stellen und ein kostenloses Festival zu starten. Dass vom ursprünglichen Impuls, einen Hort der Gegenkultur zu schaffen, nicht mehr viel übrig ist und der Kommerz den künstlerischen Anspruch größtenteils abgelöst hat, ist allerdings auch nicht zu übersehen und zu überhören. Die Experimente finden woanders statt.

Asmuth ergänzte, dass man sich auch aus anderen Gründen an „historischer Stelle“ befinde. Die vor achtzehn Jahren eingestellte taz ruhr/nrw hatte zwischen 2001 und 2005 ihre Redaktion im Lueg-Haus, das sich nur rund 150 Meter entfernt vom Three Sixty befindet. Auch die taz ruhr war ein Produkt engagierter Jounalist:innen, Student:innen und Aktivist:innen, die der monopolisierten Medienlandschaft an Rhein und Ruhr ein kritisches Korrektiv entgegensetzen wollten. Letztlich hat das Projekt neun Jahre überlebt, ehe es aus Kostengründen eingestellt wurde.


Podcast „Mauerecho: Ost trifft West“ mit Gastgeber Dennis Chiponda (m.) mit den Musikern Simon Klemp alias Schimmerling (l.) und Johannes Prautzsch, Foto: Kyaw Soe

Eine längere Halbwertszeit besitzt hoffentlich die Public Climate School. Das Projekt des Vereins Klimabildung war ebenfalls nominiert. Es organisiert Bildungsformate, in denen Expert:innen an Schulen und Universitäten oder online über die Klimakrise aufklären. Bundesweit koordinieren sie Aktionswochen und Veranstaltungen. Auch das Three Sixty böte sich dafür an.

Die „Stammtischkämpfer*innen“ gehören zum Bündnis Aufstehen gegen Rassismus. Sie organisieren ehrenamtlich Workshops und Seminare, bei denen Strategien gelernt werden können, um rechtsextremen Parolen am Stamm- oder Familientisch die Stirn zu bieten. „Oftmals bleibt einem die Spucke weg“, sagt Lena Waldhoff, dabei sei es extrem wichtig, schnell zu reagieren. Es komme nicht darauf ein, das perfekte Argumente oder die richtige Statistik parat zu haben. Das wichtigste sei, „dass diese Aussagen nicht einfach im Raum stehen bleiben“, so Waldhoff. Diese Situationen versucht man zu simulieren, um am Stammtisch, auf der Arbeit oder in der Familie nicht sprachlos zu sein. Außerdem: Die Gegenseite habe in der Regel viel weniger zu bieten. 

Gegen die Symbolpolitik

Eingerahmt wurde die Preisverleihung von den Podcasts „Mauerecho – Ost trifft West“ und „lost & found“. Im „Mauerecho“ wollte Gastgeber Dennis Chiponda mit den Musikern Simon Klemp alias Schimmerling und Johannes Prautzsch von der Band Kind Kaputt über die Einheit von Ost und West in der deutschen Musikbranche sprechen. Simon Klemp wechselte schnell das Thema und bedankte sich gleich zu Beginn bei Bundestagspräsidentin Julia Klöckner dafür, dass sie die Debatte um den CSD und die Queer-Community wieder in die Mitte des gesellschaftlichen Diskurses gerückt hätte. Mehr Publicity geht nicht.

Anschließend ging es dann tatsächlich darum, dass das Land 35 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch überaus gespalten daherkomme. Unkenntnis, Ignoranz und alte Vorurteile spielten dabei eine entscheidende Rolle. Johannes Prautzsch beklagt sich entsprechend über das Klischee des „Nazi-Sachsen“ und darüber, dass „Ossis“ vor allem mit AfD, Pegida & Co gleichgesetzt würden. „Die Medien berichten über die 30 Prozent, die AfD wählen, vergessen aber die 70 Prozent, die es nicht tun.“

Er selbst hat während des Studiums einige Jahre in Mannheim verbracht und sich auch dort mit den Vorurteilen herumschlagen müssen. „Sag mal einen Satz auf Ostdeutsch“, wurde er aufgefordert. Natürlich gebe es die Sprache oder den Dialekt nicht, trotzdem würden viele „Wessis“ in diesen Kategorien denken. Die Frage, ob eine „deutsche Identität“ das ändern könnte, blieb glücklicherweise unbeantwortet. 

Projektionsfläche Ostdeutschland

Dennis Chiponda erinnerte in dem Zusammenhang an die „Baseballschlägerjahre“ nach der „Wende“. Er ist Jahrgang 1991 und hat sie als jemand, der nicht zu den „Biodeutschen“ zählt, hautnah miterlebt. „Damals war klar, wenn dich die Nazis erwischen, ist es eventuell vorbei.“ Die zahlreichen (Todes-)Opfer rechter Gewalt erinnern an die finstere Zeit, die längst nicht überwunden ist, wie die täglichen Angriffe auf Migranten, Linke, Queere und andere Minderheiten zeigen. Aber auch hier gilt: Es ist kein ostdeutsches Problem, dient aber vielen Westdeutschen als Projektionsfläche.

Doch was tun? Es sei schwer, sich von den Zuständen nicht herunterziehen zu lassen, sagt Johannes Prautzsch. Er selbst habe zuletzt auch Songs veröffentlicht, die eine beinahe nihilistische Weltsicht verbreiten, auch weil es so mühsam sei, sich gegen die Widerstände und Klischees durchzusetzen. Aufgeben sei aber dennoch keine Alternative. Simon Klemp ergänzt: „Vielen in der Gesellschaft mangelt es an einer positiven Vision, die uns vereint.“ Es gebe mannigfaltige Gründe, sich davon beeinflussen zu lassen, aber darüber dürfe man die Vision für die Zukunft nicht vergessen. Davon handle auch sein aktueller Song „Zukunft“. Man müsse gegen innere Widerstände weitermachen. In Ost und West.   

Im Kulturgespräch „lost & found“ hatte Moderator Moritz Martin schließlich den Rapper Mike Rohleder (257ers) und den Bochumer Punkmusiker und Ex-OB-Kandidat Wolfgang Wendland (Die Kassierer) zu Gast, um über Musik, Politik und das Ruhrgebiet zu sprechen. Politische Botschaften in Songtexte zu packen, reiche nicht aus, meint Wendland. Mike Rohleder nennt ein Beispiel aus Essen-Kupferdreh, wo ein Jugendkulturhaus geschlossen wurde, stattdessen gebe es jetzt dort Loft-Wohnungen. „Die Kinder laufen jetzt einfach auf der Straße herum und haben keinen Anlaufpunkt mehr“, sagt Rohleder. Man dürfe die Erwachsenen von morgen jetzt nicht allein lassen. Letztlich sei es eine komplex und längerfristige Sache, für die Demokratie zu kämpfen, ergänzt Wendland. „Man erreicht wenig mit billiger Symbolik.“ Der taz Panter-Preis zeigt jedenfalls eindrücklich, dass es auch anders geht, auch wenn es sehr viel Energie und Durchhaltevermögen benötigt.

Die komplette Aufzeichnung inklusive der beiden Podcasts gibt es hier

Holger Pauler

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