Die kleine Bühne war in dunkles Licht getaucht, als ein psychedelischer Rocksong erklang, der den 1961 in New York und Berlin uraufgeführte Zweiakter mit dem englischen Originaltitel „Happy Days“, eröffnete. Bis sich im Stück des Regisseurs Alex Novak etwas regte, sollte es aber noch ein wenig dauern. Die Schauspielerin Beatrice Murmann saß auf einer kleinen Blechtonne, dem Publikum noch abgewandt, während der walisische Schauspieler Rob Wyn Jones, ins Leere starrend, auch mit Blechtonne, auf dem Bühnenboden saß. So verweilten beide völlig regungslos bis zum Ende des Songs. Die zerrüttete Erscheinung der beiden Figuren, das schummrige Licht und die Melancholie der Musik erzeugten eine sonderbare Spannung: Das Warten, ein wiederkehrendes Motiv bei Beckett, wurde spürbar.
Noch bei nächtlicher Dunkelheit, die sich langsam zum Tag erhellte startete Wyn Jones auf seiner Tonne ein wildes Trommelsolo. Die plötzliche Unruhe begleitete er mit englischen, teils sehr schnell gesprochenen Phrasen, wobei er wie die Karikatur eines irren Auktionssprechers wirkte. Das Kammerspiel kam nun in Fahrt und sollte u.a. univeselle Fragen aufwerfen: Was bedeutet Erfolg? Sind unsere täglichen Rituale nur Teil einer konstruierten Illusion? Eine lediglich subjektiv erlebte Idealvorstellung von Realität? Der Mensch kann Konstrukteur seiner Realität sein, aber wo beginnt die Lebenslüge? Die beiden Figuren, das Ehepaar Winnie und Willie, beide zwischen 50 und 60 Jahre alt, gaben Antworten.
Die Figur der Winnie, pausenlos ihr Inneres wie Äußeres monologisierend, verfiel dabei als auktoriale Kommentatorin immer wieder in eigene, psychische Abgründe. Die Berlinerin Murmann, die durchweg wie auf Knopfdruck zwischen Freude, Verzweiflung, Angst und Frohsinn, sowie Liebe und Hass schwanken musste, verkörperte Becketts dynamische Figur intensiv und überzeugend. Ihr Ehemann Willie, agierte entgegen der Originalvorlage nicht still und hintergründig sondern als aktiver Gegenpol. Er reagierte auf Winnies „ständiges Geplapper“ z. B. mit energischen englischen Kommentaren oder kurzen markanten Showeinlagen. Willie trommelte außerdem ständig, was Winnie auch hartnäckig von ihm forderte. Doch seine Bewegungen, die häufigen Positionswechsel und unterschiedlichen Trommelarten, erinnerten zunehmend an einen eigenständigen Ausdruckstanz. Die Figur, erhielt so eine neue Funktion für das Stück, welche im zweiten Akt besonders deutlich wurde.
Wenn sich Winnie zur Ablenkung nicht gerade in alltäglichen Nichtigkeiten verlor, entlud sich ihr Zorn an Willie, der jedoch immer unbekümmerter zu werden schien. Zunehmend wirkte er nun eher wie autistischer Freigeist oder Künstler. Seine erlösende Funktion wurde zum Ende besonders deutlich, als er seiner Winnie zum Aufwachen seine Tonne über den Kopf stülpte und zu trommeln begann, Winnie jedoch, plapperte immer weiter und weiter. Die Sehnsucht und das ständige Warten auf einen, für den Zuschauer offensichtlich utopischen, Tag der Belohnung, schien sie gefangen zu halten.
Das Gastspiel von „nk-eiland“, die zur Zeit unter dem Motto „Ansturm gegen die Monopolisierung“ auf Tour sind, erschien als satirische Allegorie. Bei dem oft hohen Tempo des Stücks konnte man manchmal glatt den Überblick verlieren. Wer aber zwischen den stakkatohaften Dialogzeilen las, konnte das Stück ohne weiteres auf die kollektive geistige Apathie moderner „Überflussgesellschaften“ projizieren.
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