Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 31

12.553 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Diva oder Polit-Ikone? Rosa Luxemburg auf der Bühne
Foto: Martin Hagemeyer

Rosa Luxemburg in Bochum

02. Juli 2018

Der Bahnhof Langendreer widmet einer Ikone ein Bühnenporträt – Bühne 07/18

Mit dem Tod begann es doch wieder. „Was wissen Sie denn von Rosa Luxemburg?“, fragte Anita Zieher zum Einstieg das Publikum und setzte das Erwartbare gleich dazu: „Dass sie umgebracht wurde, ja.“ Statt diese spärliche Basis hier schon zu kontern, referierte auch „Geheimsache Rosa Luxemburg“ im Bahnhof Langendreer erst einmal den gewaltsamen Tod der Sozialistin, die 1919 unter Wehrminister Noske von Soldaten umgebracht wurde. Dann aber wurde die Referentin prägnant zur Revolutionärin – und offenbarte viel Neues, auch Persönliches in theatral aparter Form.

Die Truppe „portraittheater“ gestaltet Programme zu historischen Figuren. Beim Luxemburg-Programm von Sandra Schüddekopf trat zum Spiel die Perkussion von Ingrid Oberkanins: Sie schuf dezent-präsent einen Live-Klangteppich, der auch Stimmungen unterstrich. Und was sah man? Eine Frau in Kleid und akkurater Frisur führte durch ihr Leben, etwas streng und dozierend, aber doch auch lebendig. Auch die Strenge, ahnte man, mochte zu solch einer Ikone passen.

Genug Raum bekam das theoretische Wirken mit scharfen Analysen des Kapitalismus. Mit Auszügen, die seine Ausbreitung prophezeiten – so global wie fatal: „Die Errichtung der kapitalistischen Weltwirtschaft zieht nach sich Verbreitung immer größeren Elends, einer unleidlichen Arbeitslast und einer wachsenden Unsicherheit der Existenz auf dem ganzen Erdenrund, der die Anhäufung des Kapitals in wenigen Händen entspricht.“ („Einführung in die Nationalökonomie“ von 1916). Nötig im Kampf dagegen sei die Tat – denn das Ende dieses Systems werde „nicht vom Himmel fallen als Gnadengeschenk einzelner Herren“.

Schwer zu sagen, wieweit die Bühnenfigur Luxemburg spiegelt. Energisch und selbstbewusst wirkt diese Frau durchgängig, aber doch nicht so anders als in gängigen Biopic-Stücken dieser Tage, die sich einer Chansonette oder Schauspiellegende widmen. Altersmilde freilich ist zumindest diese Ikone keineswegs – nicht alt, und mild noch weniger. Und dass die stolze Attitüde auf der Bühne ihr wirklich entspricht, lässt etwa eine Gerichtsszene ahnen. Sie zimmert da aus Kiste plus Cajon ein Rednerpult und schleudert dem Staatsanwalt schiller-taugliches Drama entgegen, nachdem sie wegen Fluchtgefahr inhaftiert wurde: „Ich glaube Ihnen: Sie würden fliehen. Eine Sozialdemokratin flieht nicht!“ Das sind offenbar Originalaussagen, und wer real so redet, den darf man auch als Diva spielen.

Zum Zugang verhalf Privates. Die leider spärlich erschienenen Zuschauer wollten mehrheitlich die als romantisch angekündigte Version, die freilich dem informierenden Ansatz treu blieb. Sonst aber überraschte doch manch Unpolitisches aus dem Nähkästchen und gab dem strengen Profil auch eine starke empfindsame Seite. „Mein Innerstes? Ich gehör' mehr meinen Kohlmeisen als den Genossen!“ Und an anderer Stelle: „Das Tier blickte mich an.“ Eine Begegnung, die ihr über das tierische auch eine Ahnung von menschlichem Leid gab.

Ikone ist Rosa Luxemburg in Teilen der Linken bis heute. Alljährlich wird der Tag zelebriert, an dem sie und Karl Liebknecht umgebracht wurden. Dass die Kämpferin auch streitbar nach links war, brachte der Abend aber gleichfalls ins Bewusstsein: „Freiheit ist immer nur Freiheit der Andersdenkenden“ ist ein Satz, der neben Luxemburgs Ableben noch manchem im Kopf ist – freilich wird er auch von falscher Seite vereinnahmt. Auch hier sorgte der Abend für Klärung: Mit der Aussage warf sie einst den Genossen Parteienkult vor und verschrieb ihnen „breiteste Demokratie“. Sonst, hörte man unbeirrbar, „erstirbt das Leben.“

Martin Hagemeyer

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Kung Fu Panda 4

Lesen Sie dazu auch:

Unterschiedliche Erzählungen
Vortrag zur Geschichte des Nahostkonflikts in Bochum – Spezial 03/24

Geschichte der Ausbeutung
„Wie Europa Afrika unterentwickelte“ im Bochumer Bahnhof Langendreer – Spezial 02/24

Musik mit Sogwirkung
Derya Yıldırım und Grup Şimşek in Bochum – Musik 12/23

Dokumentation rechten Terrors
„Der Halle-Prozess“ in Bochum – Spezial 03/23

Knotenpunkt der Kultur
Bahnhof Langendreer feiert 36-jähriges Jubiläum – Prolog 07/22

Belletristik für Bestandskunden
Heinz Strunk in Bochum – Literatur 04/22

Alle Macht den Care- und Energieräten
Gabriele Winker in Bochum – Literatur 04/22

Berufung auf Umwegen
Nikita Miller zu Gast in Langendreer

Bühne frei
Poetry und Open Mic Bühne mit Ajayini Sathyan

Alles auf Prüfstand
Politisches Kabarett mit Jean-Philippe Kindler

Reden über Belarus
Vortragsabend im Bahnhof Langendreer

Zoten zum Verzweifeln
Kabarettisten klären auf über die Weltpolitik – Komikzentrum 04/20

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!