Mit dem Tod begann es doch wieder. „Was wissen Sie denn von Rosa Luxemburg?“, fragte Anita Zieher zum Einstieg das Publikum und setzte das Erwartbare gleich dazu: „Dass sie umgebracht wurde, ja.“ Statt diese spärliche Basis hier schon zu kontern, referierte auch „Geheimsache Rosa Luxemburg“ im Bahnhof Langendreer erst einmal den gewaltsamen Tod der Sozialistin, die 1919 unter Wehrminister Noske von Soldaten umgebracht wurde. Dann aber wurde die Referentin prägnant zur Revolutionärin – und offenbarte viel Neues, auch Persönliches in theatral aparter Form.
Die Truppe „portraittheater“ gestaltet Programme zu historischen Figuren. Beim Luxemburg-Programm von Sandra Schüddekopf trat zum Spiel die Perkussion von Ingrid Oberkanins: Sie schuf dezent-präsent einen Live-Klangteppich, der auch Stimmungen unterstrich. Und was sah man? Eine Frau in Kleid und akkurater Frisur führte durch ihr Leben, etwas streng und dozierend, aber doch auch lebendig. Auch die Strenge, ahnte man, mochte zu solch einer Ikone passen.
Genug Raum bekam das theoretische Wirken mit scharfen Analysen des Kapitalismus. Mit Auszügen, die seine Ausbreitung prophezeiten – so global wie fatal: „Die Errichtung der kapitalistischen Weltwirtschaft zieht nach sich Verbreitung immer größeren Elends, einer unleidlichen Arbeitslast und einer wachsenden Unsicherheit der Existenz auf dem ganzen Erdenrund, der die Anhäufung des Kapitals in wenigen Händen entspricht.“ („Einführung in die Nationalökonomie“ von 1916). Nötig im Kampf dagegen sei die Tat – denn das Ende dieses Systems werde „nicht vom Himmel fallen als Gnadengeschenk einzelner Herren“.
Schwer zu sagen, wieweit die Bühnenfigur Luxemburg spiegelt. Energisch und selbstbewusst wirkt diese Frau durchgängig, aber doch nicht so anders als in gängigen Biopic-Stücken dieser Tage, die sich einer Chansonette oder Schauspiellegende widmen. Altersmilde freilich ist zumindest diese Ikone keineswegs – nicht alt, und mild noch weniger. Und dass die stolze Attitüde auf der Bühne ihr wirklich entspricht, lässt etwa eine Gerichtsszene ahnen. Sie zimmert da aus Kiste plus Cajon ein Rednerpult und schleudert dem Staatsanwalt schiller-taugliches Drama entgegen, nachdem sie wegen Fluchtgefahr inhaftiert wurde: „Ich glaube Ihnen: Sie würden fliehen. Eine Sozialdemokratin flieht nicht!“ Das sind offenbar Originalaussagen, und wer real so redet, den darf man auch als Diva spielen.
Zum Zugang verhalf Privates. Die leider spärlich erschienenen Zuschauer wollten mehrheitlich die als romantisch angekündigte Version, die freilich dem informierenden Ansatz treu blieb. Sonst aber überraschte doch manch Unpolitisches aus dem Nähkästchen und gab dem strengen Profil auch eine starke empfindsame Seite. „Mein Innerstes? Ich gehör' mehr meinen Kohlmeisen als den Genossen!“ Und an anderer Stelle: „Das Tier blickte mich an.“ Eine Begegnung, die ihr über das tierische auch eine Ahnung von menschlichem Leid gab.
Ikone ist Rosa Luxemburg in Teilen der Linken bis heute. Alljährlich wird der Tag zelebriert, an dem sie und Karl Liebknecht umgebracht wurden. Dass die Kämpferin auch streitbar nach links war, brachte der Abend aber gleichfalls ins Bewusstsein: „Freiheit ist immer nur Freiheit der Andersdenkenden“ ist ein Satz, der neben Luxemburgs Ableben noch manchem im Kopf ist – freilich wird er auch von falscher Seite vereinnahmt. Auch hier sorgte der Abend für Klärung: Mit der Aussage warf sie einst den Genossen Parteienkult vor und verschrieb ihnen „breiteste Demokratie“. Sonst, hörte man unbeirrbar, „erstirbt das Leben.“
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