Die Aufführung von Peter Weiss „Die Ermittlung“ in der Kaue Gelsenkirchen war 1995 die Geburtsstunde des freien Theaters Gegendruck mit Sitz in Oberhausen. Probierte sich das Team um den Regisseur Johannes Thorbecke in den 1980er-Jahren zunächst als Song- und Straßentheatergruppe, so wagten sich die Gegendruck-Akteure damit schließlich an einen Klassiker des dokumentarischen Theaters, mit welchem der Sozialist Peter Weiss in den 1960er-Jahren eine historische Aufarbeitung der Schoah und zugleich in der postfaschistischen Bundesrepublik eine Gegenöffentlichkeit anstoßen wollte. Denn Weiss adaptierte die Auschwitz-Prozesse auf der Bühne als Oratorium in elf Gesängen, aber zugleich auch als Faktenkonzentrat, als Protokolldichtung und große, aufklärerische Collage.
Rassismus und Antisemitismus gehören jedoch leider nicht der Vergangenheit an – im Gegenteil, wie der 9. Oktober 2019 bewies. An diesem jüdischen Feiertag Jom Kippur versuchte ein schwerbewaffneter, neofaschistischer Terrorist in die Synagoge in Halle (Saale) einzudringen. Er schoss auf die verschlossene Tür der Synagoge. Als er nicht eindringen konnte, betrat er einen nahegelegenen Dönerimbiss und drückte auf seiner Waffe ab. Insgesamt zwei Menschen fielen an diesem Tag dem rechten Terror zum Opfer. Zwar wurde dem Attentäter der Prozess gemacht, doch bekanntlich erfuhr die kritische Öffentlichkeit bereits nach der Aufarbeitung des sogenannten NSU-Komplexes von dem dramatischen Staatsversagen und der polizeilichen Diskriminierung der Opfer.
Vielleicht war das der Grund, warum Mitglieder des Vereins democ. Zentrum Demokratischer Widerspruch e.V. sich dafür entschieden, den Prozess zu begleiten und die 26 Verhandlungstage zu protokollieren. Der Verlag Spector Books Leipzig beschloss, seine Mitschriften zu veröffentlichen, als Dokumentation des rechten Terrors, aber auch der Aussagen der Betroffenen, die der antisemitischen Ideologie couragiert entgegentraten. Auf der Grundlage des Buchs „Der Halle-Prozess: Mitschriften“ veranstaltet das Theater Gegendruck einen Bühnenabend, an dem Ensemblemitglieder sowie Bürger:innen aus Recklinghausen aus dem Buch lesen. An der anschließenden Diskussionen beteiligt sich der Mitherausgeber Linus Pook, der den Prozess journalistisch begleitete. Er berichtet daher über die Gerichtsverhandlungen.
Theater Gegendruck: Der Halle-Prozess. Mitschriften | 29.3. 19 Uhr | Bahnhof Langendreer | bahnhof-langendreer.de
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