Ist es wirklich 20 Jahre her, dass der Autor Oliver Uschmann mit seinem Roman „Hartmut und ich“ eine äußerst unterhaltsame und zugleich tief philosophische Männer-WG erschuf? Ein paar Jahre, bevor einer seiner Kollegen die Idee hatte, ein kommunistisches Känguru bei sich aufzunehmen, etablierte Uschmann mit Hartmut einen Charakter, der Redewendungen wörtlich nimmt, der die Absurditäten des Alltags offenlegt und der im Scheitern an Größe gewinnt. Mit den Folgeromanen, an denen zum Teil seine Frau Sylvia Witt beteiligt war, entwickelte sich ein „Hui“-Universum (abgeleitet von „Hartmut und ich“). Der Kultstatus mag mittlerweile abgeflaut sein, doch am 11. Juni kehrt Uschmann in seine ehemalige Heimat Bochum zurück, um mit illustren Freunden und Weggefährten das 20-jährige Jubiläum seines Romans auf der Bühne des Bahnhofs Langendreer zu feiern.
Einen Meilenstein neu schreiben
In den Schatten dieses Jubiläums rückt sein Anfang Mai erschienener Roman „Ausgefranzt“. Der Roman erzählt von einem Schriftsteller, der vor einigen Jahren einen unterhaltsamen Bestseller auf den Markt gebracht hat, an dessen Erfolg er aber nicht mehr anknüpfen kann. Joris haust in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz am Rhein, wo er sich vor Gläubigern versteckt, und jobbt in einem Baumarkt. Sein ganzer Stolz sind mehrere Regale voller Kafka – Romane, Erzählungen, Biografien, Sekundärliteratur. Eines Tages geschieht etwas Seltsames: Niemand scheint von Franz Kafka je gehört zu haben – und auch die Regale im Wohnwagen sind leer. Nach anfänglichem Schock kommt Joris die geniale Idee: „Der Process“ ist seine persönliche Bibel, er kennt das Buch von vorne bis hinten auswendig. Er wird diesen Meilenstein der Weltliteratur neu schreiben und damit unweigerlich zum Star werden. Die Rechnung hat er allerdings ohne den heutigen Literaturmarkt zwischen „Booktok“ und Promikult gemacht.
Kein Dienst am Kunden
Oliver Uschmanns literarisches Werk kommt auf den ersten Blick sehr locker-flockig und hochkomisch daher, auch „Ausgefranzt“ besticht durch einen direkten Tonfall abseits Bachmannpreis-verdächtiger Satzkonstrukte. Doch Uschmann missfällt die Trennung von „ernster“ und „Unterhaltungsliteratur“, die er schon im fünften Hartmut-Roman „Feindesland“ aufs Korn genommen hat. Darin trennt eine hermetisch verriegelte U-Boot-Tür in einem Verlagshaus die Abteilungen für Unterhaltung und „hohe Literatur“: „Allein diese kafkaeske Szene in einem ,leichten‘ Unterhaltungsroman deutet schon an: Die Hartmut-Bücher sind für meine Frau und mich alles andere als irgendein Dienst am Kunden. Sie sind unser künstlerisches Zuhause, ein dichtes Geflecht aus Motiven, Subtexten und Charakteren, die zwar auch Träger von Satire und Humor sind, aber echte Biografien haben“, erläutert Uschmann. „Die sechs Hui-Romane bei S. Fischer durften damals eine unglaublich freie Evolution vollziehen – vom als Roman verkleideter Kurzgeschichtenband über die Sozialsatire, den mythologisch aufgeladenen LSD-Trip, die Ratgeber-Karikatur, die bitterböse politische Dystopie mit brutal-ernstem Ende und den Reiseroman aus vier Erzählperspektiven. Es gibt intertextuelle Verknüpfungen mit einigen unserer Jugendromane; auch ,Ausgefranzt‘ macht ein Wurmloch in die Hui-Welt auf. Ja, es liest sich alles leicht, man kann es oberflächlich wegsüffeln wie ein Bierchen an einem Sommerabend, aber man findet bei bewusster Verkostung sehr viele Aromen, beim Tauchgang ganze Korallenriffe in der Tiefe.“
Tommy Finke und Hennes Bender
Im Gegensatz zu den Hui-Romanen erscheint „Ausgefranzt“ nicht in einem großen Publikumsverlag. Uschmann erklärt hierzu: „Vor zehn Jahren hätten S. Fischer, Rowohlt oder Heyne dieses Buch ziemlich sicher verlegt, ich bin aber auf eine Weise glücklich, dieses Herzensprojekt bei Adakia zu machen, die ich kaum beschreiben kann. Dort gibt es noch einen Verleger, der Bücher liebt und eine anspruchsvolle, aber nicht-elitäre Spanne von Literatur zwischen den Stühlen.“
Und was wird beim Hui-Jubiläum im Bahnhof Langendreer geboten? Voller Vorfreude zählt Uschmann auf: „,murpige‘ Freude an Improvisation, bewusster Verzettelung und auf der Bühne ausgelebter Männerfreundschaft, denn ich teile mir den Abend ja mit Tommy Finke, Dominik Buch, Carsten Wunn, Michael Holtschulte und Hennes Bender. Die ersten fünf geben eigene Songs und Texte zum Besten, die selber ‚hartmutesken‘ Geist atmen. Hennes wiederum liest mit mir Hartmut in Rollenrede – und ich freue mich jetzt schon darauf, wie er in der Rolle von Hartmut auf seine ureigene Art cholerisch steil geht. Wir talken, wir trinken, wir tauschen uns mit dem Publikum aus. Es wird ein Wohnzimmer.“
Oliver Uschmann, Tommy Finke & Friends: 20 Jahre „Hartmut und ich“ | Mi 11.6. 20 Uhr | Bahnhof Langendreer, Bochum | 0234 687 16 10
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