Darf man lügen? Eine Frage, die sich nicht so leicht beantworten lässt. Immerhin gibt es jetzt ein Buch, das uns „Die ganze Wahrheit über das Lügen“ verkündet. Und schon hat jemand die Unwahrheit gesagt. Das Autorenteam Johannes Vogt (Text) und Felicitas Horstschäfer (Illustrationen) packt sich auch gleich an die eigenen Nasen. Wer ist schon im Besitz der Wahrheit? Klar, Lügen untergräbt die Balance des Vertrauens im sozialen Miteinander. Aber es gibt viele Arten, nicht die Wahrheit zu sagen. Auch im Spiel, im Zaubern und im Maskieren wird die Wahrheit verschleiert. Ein Gradmesser für die Schwere der Lüge könnte das schlechte Gewissen sein, es fühlt sich halt nicht so gut an, wenn man schwindelt.
Vogt und Horstschäfer gehen ihr Thema so elastisch wie nötig an. In vielen kleinen Szenen stellen sie die Komplexität eines Phänomens dar, das Kinder spätestens im Grundschulalter interessiert. Kindlich ist hier aber nichts, alles wird auf Augenhöhe verhandelt und darin liegt eine der Stärken dieses Buches, das sprachlich leicht zu bewältigen ist, ohne deshalb auf Präzision verzichten zu müssen. Trotzdem kommt der Humor nicht zu kurz. In vielen kleinen Dialogmomenten bringt Felicitas Horstschäfer mit ihrem freundlich-karikierten Personal schwierige Themen auf den Punkt. Keine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass sich die Lüge ja der Sichtbarkeit entzieht. Mit ihren großen Augen und kräftigen Mündern wirken ihre Figuren derb, aber gut verständlich in ihren Gesten.
Zumal die Lüge ein weites Feld eröffnet, wie ist es mit den Höflichkeitsfloskeln und der Angeberei, erzählen wir uns nicht selbst gerne Märchen über uns selbst? Die Wahrheit ist nicht die Antwort auf alles, kann sie doch ziemlich verletzend wirken. Immer die Wahrheit sagen, ist also auch nicht die Lösung. Richtig ernst wird es dort, wo man foltert und Menschen, die nicht die Wahrheit sagen, mitunter zu Helden werden. Zum kritischen Denken regt das Autorenteam mit der Vielfalt seiner eingenommenen Perspektiven an, wobei niemand mit dem moralischen Zeigefinger belehrt wird. Und trotzdem gelingt es den beiden, die Gratwanderung zwischen lässlicher Sünde und gewichtiger Täuschung elegant zu bewältigen
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