Mit der Gegenwartskunst ist es so eine Sache: Sie eröffnet neue Denkweisen und schenkt visuelle Eindrücke, die zuvor völlig undenkbar gewesen wären. Einen Sinn sucht aber gerade der weniger Kunstbeflissene oft vergeblich. Für die nicht in der abstrakten Welt Heimischen bot das dritte PACT Sommerfest daher die Möglichkeit, die Kunst einfach wirken zu lassen. Eine Herausforderung, ganz ohne Sinn.
Durchaus humoristisch muteten die Duette der Künstler Jonathan Burrows und Matteo Fargion an, die in einer rhythmisch-choralen Art „Counting to One Hundred“ zu einem hörenswerten Ereignis machen. „One Flute Note“, dessen Vorstellung in einem teils atonalen Zusammenspiel von Schlagzeug, Trompeten, 45 Chören, schrägen Singstimmen und Glockenschlägen endete, bot ebenfalls eine akustische Grenzerfahrung. Die Leistung der hochkonzentrierten Künstler, die in diesem Spiel von Rhythmen, Zahlenreihen und instrumentalen Einlagen stets den Überblick behalten, ist beachtlich. Doch bleibt am Ende trotzdem die Frage: Warum?
Weitaus mehr Sinn machten die Vorstellungen am zweiten Nachmittag, die mit einer Lichtinstallation der Künstlerin Naoko Tanaka begonnen. In vollkommener Dunkelheit zeigt sie die Grenzen des Messbaren und Sichtbaren auf, lässt Zeit stillstehen und Raum erstarren. Ein schwebendes Lichtauge ist es, das teils bizarre, teils faszinierende Schatten auf die Leinwände wirft und dem Sehnerv Lichtillusionen vorgaukelt.
Anders hingegen verlief die Vorstellung der Ampe-Brüder Jake und Pete. Abstraktheit fehlt auch in dieser Vorstellung nicht, wenn einer der beiden Brüder als menschliches Paket in einer Sperrholzkiste verschwindet. Ein Kommentar zum Wert des Menschen in der modernen Gesellschaft? Gegen die Konformität oder schlicht ein akrobatischer Akt des Schauwerts wegen? Es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie der beiden Künstler, wenn sie an einem Holzkistenturm hängen, sich gegenseitig ärgern und das von Burt Bacharach und Carole Bayer Sager geschriebene Lied „That´s what friends are for“ singen. Am Schluss ihrer Darbietung enthüllt sich, dass die gesamte Vorstellung kein Kampf, sondern lediglich ein gemeinsames Spiel gewesen ist.
Wesentlich realistischer und handwerklicher geht es bei der abschließenden Live-Installation der neuseeländischen Künstlerin und Performerin Kate McIntosh zu. Nicht nur für künstlerisch begabte Menschen ist diese Installation gedacht, die sich als ein persönliches Highlight des PACT-Sommerfestes herauskristallisiert. Aus Alt mach Neu – dieses Konzept kommt bei den Besuchern in der ehemaligen Waschkaue in Essen gut an. Selbst Hand anlegen, zerstören, zerschmettern oder vorsichtig auseinander bauen. Der Kreativität ist dabei keine Grenze gesetzt.
Neues zu erschaffen hingegen erfordert doch ein wenig Phantasie und Spontaneität, was das gesamte Konzept von Kate McIntosh zu einem gelungenen Abschluss des diesjährigen Sommerfestes werden lässt. Die Inspiration aus vorangegangenen Performances, die eigene Vorstellungskraft und diverses Arbeitsmaterial lassen die verrücktesten Ideen wahr werden. Marsmännchen-Figuren oder Design-verdächtige Glaskunstwerke entstehen aus alten Fotoapparaten, kitschigem Geschirr, Lederschuhen und Halsketten. Und auf einmal ist es unglaublich beruhigend, an einem Tisch zu sitzen und ohne Nachzudenken zu basteln, zu kleben und zu nähen.
Obwohl Petrus den Besuchern des Sommerfestes weniger gewogen war, ließen sich die meist englischsprachigen Gäste des PACT-Sommerfestes die Laune nicht verderben. Zwischen den Veranstaltungen sitzt man gemütlich im Foyer bei gutem Wein und leichter Küche zusammen. Und so wie mit Naoko Tanaka, die abseits des Messbaren und Sichtbaren arbeitet, ist es an diesem Wochenende wohl auch mit dem Sommer 2013: Er ist weder sichtbar, noch messbar, aber durch eine sommerliche Atmosphäre und ein interessantes Potpourri aus abstrakt-moderner Kunst definitiv erfahrbar.
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