Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
14 15 16 17 18 19 20
21 22 23 24 25 26 27

12.606 Beiträge zu
3.829 Filmen im Forum

„Theater reicht nicht“: Podiumsdiskussion anlässlich des Jelinek-Stücks in Oberhausen
Foto: Benjamin Trilling

Nur dem Einzelnen helfen?

30. April 2015

Podiumsdiskussion zur Flüchtlingsthematik am 28.4. im Theater Oberhausen

Es ist einer der wenigen positiven Aspekte an diesem Abend: Einem Geflüchteten wird geholfen. Zumindest verspricht das Elke Münich, Sozialdezernentin der Stadt Oberhausen, als sie noch auf der Bühne sitzt und vom Schicksal des afghanischen Flüchtlings Said erfährt. „Seit August warten wir darauf, dass er seine Krankenversicherung erhält“, verrät seine Begleiterin in der Diskussion mit dem Publikum. Schon zweimal sei der Jugendliche in der Schule zusammengebrochen. Doch medizinische Versorgung ist ausgeblieben. Immerhin spricht Elke Münich eine konkrete Ansage ins Mikro: „Ich nehme ihn gerne mit. Damit wir da eine Lösung finden.“ Das Publikum applaudiert. Bierseliger Humanismus in der b.a.r. des Theater Oberhausen. Doch die Idee, anlässlich der Aufführung von Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ eine Podiumsdiskussion zur Flüchtlingsthematik zu veranstalten, um auch über das Stück hinaus einen gesellschaftlichen Diskurs über das Thema anzuregen, überzeugte nicht alle ZuhörerInnen im Publikum restlos – vor allem die Lösungsansätze, sofern sie denn angekratzt wurden.

Was ist das Allgemeine? Der einzelne Fall.“

Zweifel, ob es denn auch reicht, nur vereinzelt Geflüchteten zu helfen, kommen so im Laufe des Abends auch im Publikum auf: „Ich frage mich, warum so eine Veranstaltung notwendig ist, damit Sie sich um einen Einzelfall kümmern“, empört sich ein Jugendlicher in Richtung Sozialdezernentin Münich. „Warum gilt das nicht für alle? Denn da gibt es doch ganz viele, für die das nicht gilt. Diese Frage ist überhaupt noch nicht geklärt.“ Dem Oberhausener Chefdramaturgen Tilman Raabke, der durch den Abend moderierte, ging ein adäquates Goethe-Zitat über die Lippen: „Was ist das Allgemeine? Der einzelne Fall.“ Und in der Tat: Mehr als Hilfeleistungen für einzelne Flüchtlinge hatten die ExpertInnen aus Politik, Kultur oder von der Kirche an diesem Abend wirklich nicht anzubieten. Dass ein Zuhörer trotzdem die Podiumsdiskutanten fragten, wie sie denn gedenken, Jugendliche zu überzeugen, sich für Flüchtlinge zu engagieren, konnte Peter Carp, Intendant im Theater Oberhauen, nur polemisch wie treffend kontern: „Wenn Sie sich jetzt 1968 gefragt hätten, wie kann der Staat die Apo aufbauen, das wäre ein wenig grotesk gewesen.“ Der scharfsinnigste Satz an diesem Abend.

Individuelles Engagement im Vordergrund

Wie die konkrete Hilfe der Flüchtlinge untereinander aussehen kann, schildert dagegen Ezerdan Idrizi, gewählter Sprecher der Flüchtlinge aus der Weierstraße. So begleitet er andere Flüchtlinge im Alltag, übersetzt oder gibt Deutschnachhilfe. Auch ein Tag der offenen Tür wurde, wie er erzählt, organisiert: „Auch, um nur zu zeigen, wie wir wohnen und Vorurteile abzubauen.“ Momentan werden Spenden für einen Spielplatz gesammelt. Mögliches individuelles Engagement steht an diesem Abend im Vordergrund. Gesellschaftliche Lösungsansätze, um Fluchtursachen zu bekämpfen, werden nicht mehr angesprochen. Marc Bücker, Schulleiter des Hans Sachs Berufskollegs, der über die Integrationsarbeit in der Schule berichtet, bringt das ernüchternd auf den Punkt: „Das Leben kann nicht gerecht sein. Aber was wir erreichen können, ist jenen Leuten eine Chance geben, um sie in unser Wirtschaftssystem zu integrieren.“ Ein Jammer nur, dass dieses System die Flüchtlingslage verursacht. Bühnenreife Erkenntnisse im Theater Oberhausen.

Benjamin Trilling

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Neue Kinofilme

Die Schlümpfe – Der große Kinofilm

Lesen Sie dazu auch:

19 neue Standorte
KulturMonitoring in NRW wird ausgeweitet – Theater in NRW 05/25

Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24

Wüste des Vergessens
„Utopia“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/24

„Es ist ein Weg, Menschen ans Theater zu binden“
Regisseurin Anne Verena Freybott über „Der Revisor kommt nach O.“ am Theater Oberhausen – Premiere 06/24

„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24

Von der Straße ins Theater
„Multiversum“ am Theater Oberhausen – Prolog 04/24

Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24

Vom Elvis zum Cowgirl
„The Legend of Georgia McBride“ am Theater Oberhausen – Prolog 02/24

„Die Geschichte wurde lange totgeschwiegen“
Ebru Tartıcı Borchers inszeniert „Serenade für Nadja“ am Theater Oberhausen – Premiere 01/24

Multiple Zukünfte, sinnlos zerstört
„Die Brücke von Mostar“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/23

Antworten, die verschwiegen werden
„And now Hanau“ in einem Oberhausener Ratssaal – Prolog 09/23

Folgerichtiger Schritt
Urban Arts am Theater Oberhausen – Theater in NRW 08/23

Bühne.