Wann hat es zuletzt eine umfassende Werkübersicht zu Willi Baumeister im Ruhrgebiet gegeben? Willi Baumeister (1889-1955) gehört zu den ganz wichtigen abstrakten Malern in Deutschland im 20. Jahrhundert, sein Name hat noch immer einen guten Klang, einzelne Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis der Malerei der Avantgarde eingeprägt. Aber dass wir von ihm auch rund sechzig Jahre nach seinem Tod wissen, hängt gewiss damit zusammen, dass er außer spielerisch effektvollen Malereien auch bedeutende Schriften zur Kunst verfasst hat und hierzulande als einer der ersten Künstler vor und nach dem Krieg im Austausch mit den Nachbarländern stand.
Bei dieser Internationalität und Vernetzung von Baumeister setzt nun die Retrospektive in der Küppersmühle in Duisburg an – und verfolgt dies, abgesehen von der fotografischen Dokumentation zu Beginn, doch nicht weiter. Vielmehr widmet sie sich ganz dem malerischen Werk und wählt dazu ein intelligentes Vorgehen: Die Bilder sind in umgekehrter Chronologie präsentiert, die frühesten Arbeiten hängen in den (sowieso etwas kleineren) hinteren Räumen, die späteren Hauptwerke in der vorderen Halle. Das hilft, sie ohne Vorwissen zu sehen: Als abstrakte organische Formen, die sich mehrteilig auf verschiedenen Bildebenen zueinander verhalten und dabei genau komponiert sind. Sie besitzen einen poetischen Klang und sollten als anregendes Zueinander freier bildnerischer Ereignisse gesehen werden, auch wenn sie Anklänge an unsere sichtbare Wirklichkeit zulassen. „Reale Tatsachen liegen auch ihnen zugrunde“, heißt es dazu lapidar im Film von Ottomar Domnick (1954), der im Kubus zu Beginn der Ausstellung zu sehen ist.
Willi Baumeister, der aus Stuttgart stammte, dort auch studiert hat, vor dem Krieg Professor am Städel in Frankfurt und nach dem Krieg an der Kunstakademie in Stuttgart war, hat zeitlebens experimentell gearbeitet. Die Nationalsozialisten belegten ihn als „entartet“ mit Mal- und Ausstellungsverbot. 1937 bis 1944 wurde er von Kurt Herberts als Angestellter in dessen Lackfabrik in Wuppertal aufgenommen, wo er auf Oskar Schlemmer traf, den er schon aus seiner Stuttgarter Zeit kannte.
Nach konventionellen Anfängen hatte Baumeister wie ähnlich Schlemmer im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine organische Reduktion der menschlichen Figur vorgenommen. Immer weitere Maßnahmen der Verknappung führen ihn nach 1920 zu den „Mauerbildern“, die als erster Höhepunkt seines Werkes auch im Ausland wahrgenommen werden. Bei diesen „Skulpto-Malereien“, die mittels der Beimischung von Sand und Kitt reliefartig vortreten, abstrahiert er die Formen weiter. Baumeister interessiert zunehmend die Verschränkung von bewusster und unbewusster Wahrnehmung. Er zieht zeichenhafte Elemente hinzu, die er ab den 40er Jahren besonders in östlichen und dann afrikanischen Kulturen findet. Die Nachkriegsarbeiten lassen in ihrer Farbigkeit mitunter an Miró denken, und lösen sich doch sogleich wieder vom Surrealismus. Und indem bestimmte amorphe Farbformen in verschiedene Bilder Eingang finden, steigert er deren Verbindlichkeit. Zu den eindrucksvollsten Beispielen seines späten Werkes gehören die „Montaru“-Bilder (1953-55), die in der Duisburger Ausstellung in geglückter Hängung vertreten sind.
Im Duisburger Museum Küppersmühle ist übrigens diese Ausstellung am rechten Ort. Ein Schwerpunkt des dortigen Programmes ist die abstrakte Malerei im Nachkriegsdeutschland. Dazu fanden zuletzt Ausstellungen von Fred Thieler und K.O. Götz statt. Aber es scheint, als wäre die informelle Kunst ohne Baumeister so nicht in Deutschland möglich gewesen.
„Willi Baumeister International“ | bis 5.10. | MKM Museum Küppersmühle in Duisburg | 0203 30 19 48 10
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