Einen Schwerpunkt im Ausstellungsprogramm des Museum Küppersmühle in Duisburg bilden Werkschauen mit überwiegend großformatigen Tafelbildern von gegenständlichen Malern und Malerinnen. Kennzeichnend ist das Interesse an der Figur und ihrer Handlung, eingebunden in einen Farbraum, vorgetragen in Bildfolgen, für die in der Küppersmühle genügend Platz ist. Mit Martin Assig stellt jetzt ein weiterer Maler aus, der sich dem ebenfalls zuordnen ließe, aber doch eine ganz eigene Position einnimmt. Assig zeigt in seinen Serien, die in Duisburg den Zeitraum von 1990 bis heute umfassen, Anspielungen auf den Menschen, etwa mit Frauenkleidern, die den Körper bedecken, oder maskenartigen Häuptern und Puppen-Wesen, teils eingefasst in rhythmisierte feine Linien, die sich in Ornamente auffächern. Dann wieder besetzen farbige Muster allein die Bildfläche, dazu tauchen Buchstaben, Worte, Satzfetzen auf, die den existenziellen Klang unterstützen. „bin ich allein? bin ich traurig? bin ich froh?“, steht in einem Bild aus der „St. Paul“-Serie (2018). Der Ausstellungstitel „Weil ich Mensch bin“ ist sowieso das Leitthema der Kunst Assigs. Er verwendet sehr große, aber auch DIN A4-kleine Formate in Papier, Holz oder Leinwand. In einzelnen seiner Serien malt, zeichnet er statt mit Tempera oder Tusche in der Technik der Enkaustik: Wie ein Schleier entzieht das Wachs die Darstellung der schnellen Sichtbarkeit. Im kleinen Format erinnert das an Votiv-Tafeln und die Ikonenmalerei. Ein Moment der Abstandnahme und des meditativ Nachdenklichen stellt sich ein.
Martin Assig wurde 1959 in Schwelm geboren, er hat an der Hochschule der bildenden Künste in Berlin studiert. Heute lebt und arbeitet er dort und im Havelland. Und obzwar er mit dem Käthe-Kollwitz-Preis und dem Ludwig-Gies-Preis ausgezeichnet wurde und Einzelausstellungen im Museo National Reina Sofia in Madrid, im Museum Weserburg in Bremen oder im Rotterdamer Boijmans van Beuningen hatte, war er in der Rhein-Ruhr-Region bislang ein Unbekannter. Die Ausstellung in der Küppersmühle holt nach, was nachzuholen ist, und vermittelt einen Überblick über das Gesamtwerk, seine Zusammenhänge und den großen Reichtum an Gedanken. Wenn man durch die weitläufige und immer noch überschaubare Ausstellung läuft, erschließt sich allmählich, wie sehr existenzieller Impetus und atmosphärische Stimmungen assoziativ zusammenwirken hin zu einer großen Geschichte des Lebens und dabei unaufgeregt, auf das Wesentliche hin konzentriert sind. „Ich formuliere einfach Dinge, die vielleicht andere erlebt haben oder eben fühlen. Seelische Mitteilungen“, sagte Assig im Gespräch mit Walter Smerling.
Und dann steht man vor den ganz frühen Holztäfelchen mit ihren elementaren Einzeichnungen menschlicher Spuren, lehnend auf Brettern, und erkennt für das Gesamtwerk, wie sich Assig von da ausgehend durch die Chiffren menschlichen Daseins arbeitet mit den Befindlichkeiten und der Fragilität des Einzelnen in der Gesellschaft. Er praktiziert die tastend selbstbewusste Erfahrung des Lebens: mitten in die Zivilisation mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten.
Martin Assig – Weil ich Mensch bin | bis 5.3. | Museum Küppersmühle Duisburg | 0203 30 19 48 11
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