Es macht Sinn, Georg Baselitz und Emilio Vedova zusammen auszustellen. Der deutsche und der italienische Maler, die unterschiedlichen Generationen und kulturellen Hintergründen zuzuordnen sind, haben sich bereits in den frühen 1960er Jahren kennengelernt. Der Jüngere hat sogar Bilder des Älteren gekauft. Und vielleicht hat der eine den anderen doch irgendwie in der künstlerischen Arbeit beeindruckt?
Dieser Gedanke schwingt bestimmt in der prächtigen Ausstellung mit, die das Museum Küppersmühle derzeit Vedova (1919-2006) und Baselitz (geb. 1938) ausrichtet. Mit ihnen werden im Erdgeschoss des Museums im Duisburger Innenhafen zwei der ausdrucksstärksten und kompromisslosesten Maler auf diesem Niveau vorgestellt. Die Unterschiede liegen auf der Hand: Die Hinwendung zur Abstraktion bzw. Figuration und die Verschiedenheit im Farbklima. Gemeinsam sind das Expressive der Malerei und der (vermeintlich) freigeistige Umgang mit Farben und ihrer Eigendynamik. Schon die Formate! An den hohen, langen Wänden des Museum Küppersmühle wird vielleicht gar nicht so deutlich, wie groß die meisten der Bilder sind und dass das Ziehen der Linie körperliche Aktivität bedeutet. Emilio Vedova, der hierzulande noch nicht so recht entdeckt ist, verdichtet ausgreifende, fasernde Farbbalken zu Raumkonstrukten auf der Bildfläche. Die Bahnen überlagern sich. Vedovas Malerei führt Spontaneität und Einfallsreichtum vor Augen. Seine Bilder sind Schlachtfelder wechselnder Emotionen, dabei sind sie hochdifferenziert im Ziehen der Bahnen und Hinzufügen feiner Linien. Nichts davon ist grob oder beliebig, vielmehr hat der in Venedig ansässige Vedova die Farben des Lichts und die Malerei der Renaissance reflektiert und in seine existenziellen Befragungen einfließen lassen.
Gegenüber dieser Offenherzigkeit wirkt die Malerei von Georg Baselitz häufig verschlossen, dunkel und dicht, dabei mitunter narrativ. Baselitz bleibt der Figuration verpflichtet, auch wenn er den Duktus in die Abstraktion führt oder (und das ist eine Art Markenzeichen seines Werkes) die Figurationen auf dem Kopf malt und dadurch erreicht, dass sie neu und auf ihre Form hin „gelesen“ werden. Ausführlich wird dazu in der Küppersmühle eine neuere Werkgruppe präsentiert, die mit dem Kopfstehenden geradezu kokettiert: „Ma grigio“ (ab 2015). In jedem dieser Gemälde bilden Beine mit hochhackigen Schuhen ein Kreuz, welches den Eindruck des Laufens als Rotation vorgibt. Zugleich vermessen die Absätze und Spitzen der Schuhe das hochrechteckige Format. Baselitz hält die Palette der Farben äußerst nuanciert, indem er sich auf die Abstufungen von Schwarz und Weiß und Graublau-Tönungen beschränkt. Damit (und im Italienischen des Titels) werden diese Bilder zu Reminiszenzen an Vedova. Bei aller zeichnerischen Genauigkeit bleibt die Farbe tropfend stehen und schließlich sind die Beine als langgestreckte, abstrahierte Setzungen wahrzunehmen.
Erstmals wurden Bilder von Vedova und Baselitz 2007 auf der Biennale Venedig ausgestellt zur Erinnerung an den italienischen Staatskünstler. Freilich gibt es noch einen grundsätzlichen Unterschied in den künstlerischen Haltungen. Vedova hat sich politisch engagiert, auch wenn es um die Belange von Venedig ging. Baselitz hingegen malt, abgesehen vom Frühwerk, gegen die Inhalte an, die die Motive vorgeben – aber auch das trägt ab und zu kulturelle und gesellschaftliche Dimensionen, die in der Auswahl in Duisburg freilich nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr geht es um exemplarische, immer mal wieder aufeinander verweisende Retrospektiven beider Künstler, die noch die Schwerpunkte der in der Küppersmühle heimischen Sammlung Ströher vor Augen führen: Die abstrakte, informelle Malerei und die figurative, expressive Kunst. Alles richtig gemacht!
„Baselitz – Vedova“ | bis 29.1. | MKM Museum Küppersmühle Duisburg | 0203 30 19 48 10
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