Das Verhältnis der bildenden Kunst zur Technisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft ist ambivalent. Fortschrittseuphorie und Technikhörigkeit treffen auf Warnungen vor dem Kontrollverlust. Beherrscht der Mensch die Maschine oder schließlich nicht doch die Maschine den Menschen? Dabei ist die bildende Kunst nicht lediglich kritischer Beobachter, sondern sie hat sich die jeweils neuen technischen Verfahren zu eigen gemacht. Die Ausstellung, die dazu im Museum Folkwang zu sehen ist, legt den Schwerpunkt auf die Einwirkungen des Maschinellen auf den menschlichen Körper. Sie setzt im frühen 20. Jahrhundert ein und führt bis in die Gegenwart. Schon aufgrund der hochkarätigen Exponate ist sie sehenswert. Der Parcours ist chronologisch angelegt, mit gelegentlichen Zeitsprüngen, aber die machen Sinn.
Zudem machen die Blickachsen und Zusammenstellungen der Werke richtig Spaß. Das betrifft schon den Auftakt mit dem italienischen Futurismus, der Technisierung und Geschwindigkeit feierte. Umberto Boccionis berühmte Bronzeskulptur eines Schreitenden erinnert an einen Roboter. Sie trifft in der Ausstellung auf Fortunato Deperos Gemälde eines Motorradfahrers im kristallinen Farbgrund. Ein anderer Strang wird in der Fotografie des russischen Konstruktivismus angesprochen. Die Soldaten und die Fabrikarbeiter laufen im Gleichschritt. Dazu besitzt das harte, genormte Metall der Maschinen (und von Stahlhelmen) einen ästhetischen Reiz, der auch für die Propaganda beider Weltkriege taugte. Die fortgesetzte Industrialisierung und das Aufblühen der Großstadt sind Themen des Dadaismus und Motive sogar des Surrealismus. Ein Gemälde von René Magritte zeigt einen durch Zahnräder zusammengehaltenen Menschen zusammen mit dem „Mechaniker“ aus röhrenartigen Gliedmaßen von Fernand Léger. Auch in der Korrespondenz der goldglänzenden Maschinenkopf-Skulptur von Rudolf Belling zu Carl Grossbergs Malerei eines „Gelben Kessels“ in einer Fabrikhalle wird die Bedeutung der technoiden Formsprache in den 1920er Jahren vertieft. Der Mensch wird dabei zur anonymen Masse.
Es ist in der Ausstellung nicht ganz einfach, den Wechselbeziehungen von technischem Fortschritt, Reflexion in den aufeinanderfolgenden Kunststilen und dem sich wandelnden Menschenbild zu folgen. Die Weltraumfahrt und die Kybernetik hinterlassen ebenso ihre Spuren in der bildenden Kunst wie der medizinische Fortschritt und ein neues kritisches Körperbewusstsein. Lynn Hershman leitet den Umgang mit den Neuen Medien ein. Im Computerzeitalter und der digitalen Netzkultur führt dies zum Verschwinden und Ersetzen des menschlichen Körpers. Zugleich werden die Formen der Kunst immer aufwändiger, auch räumlich komplizierter, und so dicht die Ausstellung zu Beginn ist, so sehr fällt sie gegen Ende auseinander. Jedoch stellt sie mit den Werken von Ed Atkins, Avery Singer und Tony Oursler einige der international gefragtesten Künstler*innen vor. Natürlich gibt es weitere künstlerische Positionen und lässt sich das Thema weiter differenzieren – aber das ist dann dem eigenen Nachdenken überlassen.
Der montierte Mensch | bis 15.3. | Museum Folkwang, Essen | 0201 884 54 44
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