Das Wort Biennale weckt Erwartungen: Es gehe darum, zusammen mit den Kunstwerken auch das Denken der Künstler zu entdecken, stellte Okwui Enwezor fest, Kurator der 56. Biennale in Venedig. Charles Esche, Kurator der 31. Biennale in São Paulo, betonte, es genüge nicht, das Weltgeschehen wiederzugeben. Vielmehr brauche es einen gegenseitigen Austausch zwischen Weltgeschehen und Ausstellung.
Und in Bochum? Hier geht es wesentlich unkommerzieller zu, auch wenn die Eröffnung der 1. BoBiennale immerhin mit europäischen Künstlern aufwartet. Der Italiener Remo Di Fillippo verzaubert die Zuschauer mit seinen Marionetten. Später wird die Ausstellung „SKLO ///" in den Kunsthallen der Rottstraße 5 eröffnet, die von dem tschechischen Künstler Petr Stanicky, zusammen mit seinen Studenten von der Tomas Bata Universität in Zlin gestaltet worden ist und während des gesamten Festivals zu sehen sein wird. Die einführenden Worte spricht der Künstler auf Englisch, doch er wird für das Publikum prompt auf Deutsch übersetzt. Lokal oder international also?
Aber von vorne: Die Idee für ein 10-tägiges Kunst-und Kulturfestival gibt es schon seit drei Jahren. Eines Tages meinte der Galerist Hugo Koch, dass man nicht immer nur meckern dürfe, sondern auch machen müsse. Aus einem Kreis von Menschen, der über Kulturpolitik sprach und diskutierte, bildete sich so ein Kreis heraus, der Worten Taten folgen lassen wollte. Nahezu alle Vertreter der Freien Szene Bochums schlossen sich dem Gedanken an, aus einer geringen finanziellen Förderung das Meiste herauszuholen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 10 Tage, 200 beteiligte Kunst-und Kulturschaffende, über 100 Veranstaltungen, 40 Standorte.
An diesem Abend, ist der Platz vor den Kunsthallen, gelegen hinter einem Mietshaus mit einigen Parkplätzen, reich an Menschen gefüllt. Statt Sekt gibt es Fiege, vereinzelt Rotwein. Den elitären Nimbus einer Biennale sucht man hier vergebens. Das Publikum gibt sich entspannter und weniger formell. Auch die Kulisse vor den Kunsthallen ist ganz anders. Sie strahlt weder die Größe der Schiffswerften in Venedig, noch die Raffinesse des Biennale-Pavillons in São Pãulo aus, eher Hinterhof-Flair. Um die Erwartungshaltung an das Wort Biennale zu konterkarieren, haben sich die Moderatoren Maria Wolf und Helge Salnikau in Schale geworfen und sprechen das Publikum in verschiedenen Sprachen an. Vor einem Redebeitrag verleiht Salnikau jedes Mal den „Global Player" in Form einer Pfeffermühle an den nächsten Redner und hat damit die Lacher auf seiner Seite.
Gleichzeitig stellt sich dabei die Frage: Wie positioniert sich die Bo-Biennale zu ihrer großen internationalen Konkurrenz? Es ginge gar nicht darum, den Vergleich mit den Großen aufzunehmen, betont der Bochumer Kulturdezernent Michael Townsend in seiner Eröffnungsrede. Er vertritt das Kulturbüro der Stadt Bochum, das als einer der Hauptsponsoren auftritt und stolz ist: „Die Bo-Biennale zeigt die Vielfalt der Freien Szene in Bochum." Trotz finanzieller Unterstützung, lebt das Festival vor allem von dem Engagement seiner Teilnehmer, deren Arbeit mit den finanziellen Ressourcen des Festivals nicht zu finanzieren wäre. Dorothee Schäfer und Annette Helmstädter aus dem Organisationsteam stellen klar, die 1. BoBiennale sei vor allem ein „self- und handmade Festival". Das zeigt schon die Eröffnung: Die Bühne wirkt spärlich, an den Wänden der Kunsthalle stehen weiße Aufstellwände wie hingestellt und nicht abgeholt. Die Sängerin Linda Bockholt steht nicht auf, sondern neben der kleinen Bühne. Ihr elegischer, melancholischer Gesang passt gut in die Schwüle des Raums, aber ihre Positionierung führt dazu, dass viele ihr nicht zuhören.
Leider sieht es in der Ausstellung der tschechischen Künstler nebenan nicht besser aus: Auf den zweiten Blick erscheinen die Werke isoliert, als seien sie einfach so in den kahlen Raum hineingestellt worden, ohne Konzept. Die relevanten Informationen zu einem Werk sind mit Bleistift schnell an die Wand gekritzelt worden. Trotzdem ragen einzelne Arbeiten heraus. Eine der kraftvollsten ist „The Bat" von Nikola Kovaliková: Ein von der Decke hängender, skelettartiger Körper in Fledermauspose. Überzogen ist er von einem vergilbten, weißen, brüchigen Material – Schweinedarm. Nebenan, in der Eröffnungshalle hat Sängerin Linda Bockholt ihre Gitarre inzwischen gegen eine Mandoline getauscht und das verkleinerte Publikum lauscht ihr konzentriert. Die Eröffnungsreden rund um die Themen Finanzierung, Umsetzung und Außenwirkung, zwischen Kunst und Popkultur, legen die Frage nahe: Was muss, was kann Kunst (hier) leisten?
Der eindrücklichste Moment der Eröffnung findet draußen statt, vor den Reden. Remo Di Fillippo und Rhoda Lopez lassen verschiedene Marionetten auftreten: Einen Violinisten, der sich zur Playbackmusik an seinem Instrument verausgabt, einen Rennradfahrer, der schwindelerregende Sprünge vollführt und einen Stepptänzer, bei dem das Publikum zum Rhythmus der Musik mitklatscht. Auf den Balkonen des Mietshauses tummeln sich plötzlich Kinder. Sie grölen mit. Einzelne Eröffnungsbesucher lächeln zu ihnen hinauf. In diesem Moment scheinen alle miteinander verbunden zu sein. Das abgedroschene Bild einer Kunst, die Brücken baut, bietet sich an: Die Hinterhofatmosphäre ist wie weggeblasen. Danach gehen die Besucher ins Innere, die Kinder schauen ihnen nach.
Die erste „Bo-Biennale" wird vielleicht nicht für künstlerische Innovationen oder ein internationales Flair sorgen. Doch sie kann das stärken, was unmittelbar da ist: Das Lokale, das Regionale. Das bedeutet die Achtsamkeit auf das zu lenken, was vor der eigenen Haustür passiert. Die Aufgabe einer Kunst, die aus der Mitte dieser Gemeinschaft heraus wirken will, ist es, die lokalen Kräfte zu bündeln. Das haben die Beteiligten mit ihrem Programm bereits bewiesen. Jetzt geht es darum, die Menschen vor Ort zu erfreuen, zu bewegen, zum Kunstmachen anzustiften, in Diskussionen zu verwickeln, aber vor allem: sie einzuladen und abzuholen. Oder anders: Sie auf ihre Balkone zu locken und sie dann herunterzuholen. Hoffentlich gelingt es.
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