An zehn Tagen zeigte Bochums freie Szene, was sie zu bieten hat – ehrenamtlich und ohne nennenswerte finanzielle Unterstützung. Einer der spannendsten Programmpunkte der BoBiennale fiel wie zufällig in die bunte Kulturwoche: das Gypsy-Festival Nadeshda im zu Unrecht oft übersehenen Kulturrat Gerthe. An zwei Tagen hatten Besucher Gelegenheit, mehr über die Kultur einer großen Minderheit Europas zu erfahren. Autorin Anzy Heidrun Holderbach las aus ihrem Buch „Yanko – Die Geschichte eines Roma“, der Film „Nadeshda“ gab Einblicke in den Alltag eines Roma-Ghettos in Bulgarien, und Musiker mit Sinti/Roma-Background verzauberten mit ihrer Musik. Unangefochtener Höhepunkt: der Auftritt des Rosenberg Trios. Die Familienband um Stochelo Rosenberg spielt Gypsy-Swing, eine Jazz-Variante, die traditionell in der Familie weitergegeben wird. Von klischeehafter Folklore ist die hochkomplexe und fesselnde Musik so weit entfernt, wie Deutschland von einer vernünftigen Aufarbeitung seines Antiziganismus.
Charmant und unaufdringlich präsentierte sich das atelier automatique, eine Gruppe junger Frauen, die allesamt schon eine ganze Weile in der Bochumer Theaterszene unterwegs sind. Sie haben sich in der Rottstraße zusammen gefunden. Ihr Stil erinnert aber weniger an das Theater in der nahen Hausnummer 5, sondern in seiner poppigen Verspieltheit eher ans Prinz-Regent. Pia Alena Wagner stand in einem trashigen Jogginganzug auf einer Kiste und es lief Funkmusik. Irgendwann tanzte sie auch. Aber erst einmal stand sie einfach rum, wie Menschen im Club, die ohne Flasche im Griff nichts mit ihren Händen anzufangen wissen. Und am Ende der geduldigen Performance wurde deutlich, dass die Performerin eben genau diese Zögerlichkeit der leidenschaftlichen Laien-Tänzer auf dem Dancefloor persiflierte.
Die Stimmung im Atelier war lieblich und ungezwungen: Gäste brachten ihre Kinder mit, die ungezwungen auf dem Teppichboden herumtollten, wer Lust hatte, schaute kurz rein und ging dann wieder, manche blieben zum Essen. Auf einem Bildschirm flimmerten GIFs, bewegte Bilder aus der Gag-Welt des Internets, und erzählten ironisch gebrochen die große Geschichte von Romeo und Julia. Dieser Lockerheit begegnet man als Theaterfreund häufig in Bochum. Das atelier automatique scheint sie sich zum Markenkern zu machen – und ist damit ein gutes Aushängeschild für die freie Szene Bochums.
Und selbst für Leute, die sich seit Jahren in dieser Szene bewegen, bot die BoBiennale Neues: zum Beispiel bei der großen Open-Air-Veranstaltung auf dem Springorum-Radweg. Die nächste BoBiennale ist für 2019 angedacht. „Eins der Ziele für die Zukunft, neben der Erhaltung des künstlerischen Niveaus und der Optimierung von logistischen Abläufen, muss allerdings sein, die BoBiennale auf eine seriöse finanzielle Basis zu stellen, um nicht ausschließlich auf ehrenamtlich Tätige angewiesen zu sein“, schreiben die Organisatoren. Oder, um es mit den Worten einer beteiligten Künstlerin zu sagen: „Beim nächsten Mal gibt’s Fördergelder, sonst auch keine BoBiennale.“
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