Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Foto: Franziska Götzen

Von Sophokles zu Frontex

10. Februar 2021

„Antigone. Ein Requiem“ im Theater an der Ruhr in Mülheim – Prolog 02/21

Was Menschen von allen anderen Spezies unterscheidet ist die Art, wie wir mit unseren Verstorbenen umgehen. Tiere trauern auch, aber die menschliche Bestattungskultur ist einzigartig. Frühsten Schätzungen zufolge beerdigt Homo Sapiens seine Toten schon, seit er vor 300.000 Jahren auf der Bildfläche erschien. Damals wie heute hilft das Ritual einer Bestattung besonders den Hinterbliebenen dabei, Abschied zu nehmen, den Verlust zu realisieren und doch an den oder die Verstorbene/n zu erinnern. Wie wichtig eine würdige Beisetzungsein kann, davon erzählt auch Sophokles in seinem antiken Epos Antigone: Der Tyrann Kreon von Theben verbietet Antigone darin die Bestattung ihres Bruder Polyneikes, weil der in einem Angriffskrieg gegen Theben gefallen ist. Antigone setzt sich darüber hinweg und wird zur Strafe eingemauert, was ziemlich viele weitere Tode zur Folge hat.


Diesen Konflikt greift auch Thomas Köck mit seiner Bearbeitung des Stoffes in seinem Stück „Antigone. Ein Requiem“ auf. Im September 2020 feierte es unter der Regie von Simone Thoma am Theater an der Ruhr Premiere, nun kann es auf der Plattform Twitch live getreamt werden. Der antike Mythos spielt dabei keine Rolle. Es geht nicht um Königskinder, die in der heroischen Schlacht fallen. Die würdige Bestattung, für die Antigone (Dagmar Geppert) hier kämpft, ist die der namenlosen Opfer, die an den Stränden der westlichen Welt angespült werden und für die sich – im Tod wie im Leben – niemand verantwortlich fühlt. Fabio Menéndes ist ein aalglatter Kreon und Roberto Ciulli, selbst Regisseur, Gründer und Leiter des Theater an der Ruhr, hat einen Auftritt als Seher Teiresias. Simone Thoma und ihr Ensemble zeigen den Konflikt zwischen Humanität und politischem Kalkül auf, wo Idealismus der Seenotretter:innen mit dem bürokratischen Wahnsinn der Asylverfahren kollidiert. Wo weder der Toten gedacht noch den Lebenden mit Menschlichkeit und Mitgefühl geholfen wird zeigt sich, dass der Mensch noch in anderer Weise einzigartig ist. Und zwar in seiner Grausamkeit.

 

Antigone. Ein Requiem | 19.2. 19.30 Uhr (Stream) | Theater an der Ruhr

Maxi Braun

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Bewusstseinserweiternde Bühne
„Rausch 3“ am Theater an der Ruhr

Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24

„Theater wieder als Ort einzigartiger Ereignisse etablieren“
Dramaturg Sven Schlötcke übertiefgreifendeVeränderungen am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/23

Ibsen im syrischen Knast
„Up there“ am Theater an der Ruhr – Prolog 11/22

Auf diesem geschundenen Planeten
„Weiße Nächte / Retour Natur“ des Theater an der Ruhr – Prolog 08/22

Vom Universum geblendet
„Vom Licht“ am Theater an der Ruhr – Auftritt 04/22

Gegen den Mangel an Erkenntnis
„Vom Licht“ in Mülheim – Prolog 03/22

Nebel, Schaum und falsche Bärte
„Nathan.Death“ am Theater an der Ruhr – Auftritt 11/21

Wenn die Natur zum Ausnahmezustand wird
Vladimir Sorokins „Violetter Schnee“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Bühne 08/21

Beuys inklusive Torte, Kerze und Whisky
Theater, Kunst und Musik gegen Kohle: die Weißen Nächte im Theater an der Ruhr – Festival 08/21

Ihr wollt Brot, sie werfen euch Köpfe hin!
„The Return of Danton“ in Mülheim – Prolog 06/21

Die Toten zum Verwesen freigegeben
„Antigone. Ein Requiem“ im Theater an der Ruhr in Mülheim – Bühne 02/21

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!