Kunst entsteht häufig im Verborgenen: in Privatwohnungen oder Hinterhöfen. Am 17. und 18. September öffneten Essener KünstlerInnen in den südlichen Stadtteilen ihre Ateliers und zeigten aktuelle Kunstwerke.
Im Atelier 61a malen und gestalten die Künstler Volker Niehusmann, Regina Schmolke, Ilse Straeter, Johanna Timaeus, Maria Wuch und Gisela Jacksch. Ihre Werke sind dabei ganz unterschiedlich. Im Bereich von Johanna Timaeus hängen große mit Acrylfarben bemalte Leinwände. Auf der einen ist im Vordergrund ein Boot zu sehen, auf dem viele Menschen sitzen, die versuchen, ein Kreuzfahrtschiff heranzuwinken. Neben dem Bild hängt ein Zeitungsartikel mit einem Foto, das dem gemalten Bild sehr ähnlich ist. Es zeigt Menschen, die aus dem Iran geflohen sind und in einem kleinen Boot sitzen, daneben ein riesiges Kreuzfahrtschiff. „Die Themen Krieg und Flucht haben mich immer schon beschäftigt und ich habe versucht, es in meiner Kunst zu verarbeiten“, sagt die Essener Künstlerin. Auch in anderen Bildern der Kunstpädagogin taucht das Thema Flucht immer wieder auf. „In der Kunst versuche ich das umzusetzen, was mich gerade beschäftigt. Das ist gerade die Situation geflüchteter Menschen.“
Die Kunstwerke von Gisela Jacksch fallen durch ihre besondere Art auf. Denn sie bestehen sowohl aus Collagen als auch aus Malerei. „Ich mag das fotografisch-realistische und das Weiche des Gemalten“, erklärt Jacksch. Deshalb habe sie die beiden Gestaltungsarten verbunden und damit verschiedene Serien gestaltet. Eine davon trägt den Titel „Illus“. Darauf abgebildet sind Bilder von nahezu perfekten Frauenkörpern, ausgeschnitten aus Zeitschriften, die durch Umgestaltung Risse bekommen haben. „Ich wollte die Schönheit und Perfektion auf der einen Seite und die Einsamkeit sowie Zerbrechlichkeit der abgebildeten Frauen auf der anderen Seite darstellen. Der Titel ‚Illus‘ ist eine Anspielung auf die Worte Illustrierte und Illusion“, ergänzt die Künstlerin. Häufig lassen sich in ihren Werken auch Schriftzüge finden, die ein kritisches Licht auf die Darstellungen werfen. Eines zeigt beispielsweise Marathonläufer, daneben klebt die Aussage „Ach, diese Versuche, glücklich zu sein.“ Durch unterschiedliche Perspektiven und Kontraste werden Jacksch' Werke abwechslungsreich und bieten viele Möglichkeiten zum Entdecken.
Die Buchhändlerin Irmgard Krahe führt nicht nur ihr eigenes Geschäft, sondern ist auch noch als Künstlerin aktiv. Im „buchcontext“ zeigt sie verschiedene Bilder, die sie mit dem alten Druckverfahren der Cyantypie erstellt hat. Ihre Bilder haben die für dieses Verfahren typischen Blautöne. Häufig sind Ausschnitte einer Schreibmaschine oder eines Heuwenders abgebildet. „Die Motive haben mich einfach fasziniert“, verrät Krahe.
Die Künstlerin Ann Sophie Detje zeigt drei Fotosammlungen, die jeweils aus 72 Bildern bestehen. Die Fotos hat sie in London, Hamburg und Paris gemacht. Darauf zu sehen sind architektonische Besonderheiten, Menschen oder Speisen. Das Besondere an dem aus einzelnen Fotos bestehendem Bild ist, dass die Künstlerin jeweils 72 Stunden lang stündlich ein Fotomotiv ausgewählt und mit der Kamera festgehalten hat. „Entstanden sind dabei drei ganz persönliche Ansichtskarten“, berichtet sie. Die Idee dazu kam ihr 2005 auf einer Reise nach Berlin. „Ich wollte schauen, was mit meinem Blick passiert und wie ich mir eine Stadt ansehe“, erklärt sie. Dabei habe sie beobachtet, wie sich ihre Bilder verändert haben. „Anfangs habe ich noch viele Gegenstände fotografiert, wie zum Beispiel Lebensmittel. Bei der letzten Reise nach Paris waren es schon viel mehr Menschen.“ Eine Idee für die nächste Fotoaktion hat Ann Sophie Detje auch schon: „Essen und das Ruhrgebiet möchte ich auch einmal 72 Stunden lang mit der Kamera betrachten.“ Während der „Kunstspur“ zeigte die Künstlerin ihre Bilder im „temporary project“, einem langgezogenem Raum im Lindenquartier, in dem die ausgestellten Bilder gut zur Geltung kamen.
Auch Shantan Kumarasamy zeigte Fotografien. In seinem Fotostudio stellte er fünf Porträts aus, die in Sri Lanka entstanden sind. Jedes dieser Bilder erzählte seine eigene Geschichte. Auf einem ist ein Junge vor einem schwarzen Hintergrund zu sehen. Es trägt den Titel „Missing Mum“. „Der Junge ist 9 Jahre alt und Mönch. Er stammt aus einer armen Familie und wurde in ein Kloster gegeben, um dort Bildung zu bekommen. Als ich ihn fragte, ob es ihm gut gehe, verneinte er, denn er vermisse seine Mutter“, berichtet Kumarasamy. Auf einem anderen sieht man ein Ehepaar vor einem Laden sitzen. Während die Frau Zigaretten herstellt, macht der Mann Handwerkswaren aus Kokosnussblättern. „Ich möchte mit meinen Bildern die Geschichte der Menschen erzählen, die ich fotografiert habe. Es ist damit auch eine Art Gesellschaftsporträt“, stellt der Essener Drucker und Fotograf fest.
Für die Künstler in Essen ist die Kunstspur eine gute Gelegenheit sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Auch für die Besucher lohnt es sich. „Wenn so viele ausstellen, gibt es auch viel zu sehen“, freut sich Johanna Timaeus. Auch wenn Shantan Kumarasamy die Veranstaltung für wichtig hält, wünscht er sich, dass mehr Bildmotive gezeigt werden, die außerhalb von Europa entstanden sind oder die mit außereuropäischen Kunsttechniken hergestellt wurden. „Kunst ist international und vielfältig. Das sollte sich auch in Essen zeigen“, betont er.
Die Essener Kunstspur wird bereits zum 18. Mal in Folge vom Kulturbüro der Stadt Essen organisiert. Am kommenden Wochenende, dem 24. und 25. September, öffnen die Ateliers im Essener Norden jeweils von 15 Uhr bis 19 Uhr. Der Eintritt ist mit Ausnahme des Unperfekthauses kostenlos.
Das genaue Programm gibt es unter www.kunstspur.essen.de.
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