Pokern ist als Glücksspiel verboten, aber arm wird nur, wer mitmacht. Wird aber ums Wohnen gezockt, ist erschwingliches Mieten für viele bedroht – und wohnen muss jeder. Zwei hier stark betroffene Städte kamen zum Thema immerhin virtuell zusammen: Unter dem Motto „Unser Zuhause, nicht euer Spielfeld: Spekulation in Berlin und New York herausfordern“ lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung zum digitalen Austausch.
Klarer auf den Punkt brachte die englische Titelvariante den zweisprachigen Austausch, benannte sie doch Willkür wie auch das Schielen nach Profit: „Gambling with our Homes.“ Die Metaphorik wurde nicht zu sehr ausgereizt, doch entsprach ihr der Grundgedanke. Inhaltlich in die gleiche Richtung ging der unbildliche, auch sperrige Ausdruck „financialization“ – deutsch mit „Finanzialisierung“ kaum eleganter. Denn was über seinen finanziellen Wert definiert wird, wird doch schnell Zockobjekt. Julieta Perucca formulierte deutlich, dass würdige Unterbringung von Menschen ein soziales Ziel sein müsse: „Housing is a social goal and not a financial instrument.“ Ihre Organisation „The Shift“ kämpft für Wohnen als Menschenrecht.
Einig war man in der Runde: Das Pokern ums Grundrecht benötigt nicht nur Regeln, ihre Geltung braucht auch staatlichen Eingriff, oder „governmental intervention“. Ein Gutteil des Abends kreiste denn auch um Formen dieses Eingreifens. Lena Afridi stellte fest: „New York City is the most unequal city in the United States.“ Besonders drückend sei diese Ungleichheit für „people of colour“. Ein eingreifender Staat könne hier die nötige Abhilfe schaffen. Sie ist früheres Mitglied der „Association for Neighborhood & Housing Development“, die sich für bezahlbaren Wohnraum in New York einsetzt.
Doch warum nicht auf Marktakteure vertrauen? Manchmal finden private Baupläne Applaus der Öffentlichkeit, etwa weil sie Annehmlichkeiten fürs Viertel versprechen. Oksana Mironova, Stadtplanungsexpertin und selbst in New York aufgewachsen, zeigte aber an Beispielen, was Wohnprojekte vieler Investoren fragwürdig macht: Oft sei unklar, wieweit sie einem aktuellen Wohnbedarf auch wirklich entsprechen und wie man sich die Bauten ein paar Jahre später vorstellen dürfe.
Dämpfer für den Deckel
Dirigieren und der Druck dagegen: Prominentes Beispiel ist hier der sogenannte Mietendeckel, der jüngst einen empfindlichen Dämpfer erhielt. Dieses Limit für Mietpreise, von Berlins linker Bausenatorin trotz viel Tumult durchgesetzt, wurde vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt. Nur Dämpfer freilich und kein Don't – denn was Karlsruhe hier kippte, war keineswegs das Mittel: Es zu verordnen lag schlicht nicht im Zuständigkeitsbereich der Landesregierung. Klar, im Bund regiert nicht Die Linke. Doch kein Grund zum Verzagen, dachten offenbar auch andere. So ging man beim Kampagnenverein Campact beherzt ans Werk, ans bundesweite also, und so manchem Facebook-Nutzer flatterte dieser Tage der Aufruf über die Timeline: „Mietendeckel jetzt – und zwar bundesweit!“
Beim Berlin-New Yorker Forum kam das natürlich zur Sprache – und das mit Erkenntnisgewinn. Caren Lay, Linken-Bundestagsabgeordnete, gab eine aufschlussreiche Einordnung in die Vorgeschichte. Sie erinnerte daran, dass ihre Partei ursprünglich durchaus bundesweit ansetzen wollte und den Deckel vor drei Jahren erfolglos im Bundestag forderte. Dann verlegt aufs links regierte Land Berlin, zogen FDP und Union nach Karlsruhe: Ausgerechnet Gegner der Bundes-Bremse also, hob Lay hervor, klagten gegen die Landes-Variante – was nur bestätigen dürfte, wie enorm der Druck dagegen ist.
Von Grund auf: Enteignen
Ansetzen lässt sich allerdings auch grundsätzlicher, buchstäblich bei Grund und Boden. 2019 stand das Schreckgespenst im Raum: Enteignung. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sammelte genug Stimmen, um den nächsten Schritt eines Volksentscheids anvisieren zu können – hierfür wirbt sie derzeit um Voten. Der Konzern Deutsche Wohnen ist größter Vermieter in Berlin. Und auch die Online-Runde hob ab auf Besitz und darauf, es fürs Gemeinwohl anzutasten. Christoph Trautvetter von „Wem gehört die Stadt?“, einem Projekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Das Problem ist die ungerechte Verteilung von Vermögen“. So ungleich wie in Deutschland und den USA sei sie generell kaum irgendwo sonst. Umverteilung tue Not. Caren Lay ergänzte: Bessere Wohnträger seien selbstbewusste Kommunen wie auch regionale Mietinitiativen.
Enteignen unter Bedingungen ist verfassungskonform. Erst Ende April gab der Staatsrechtler Udo Di Fabio in der FAZ dazu Auskunft: „Enteignet ein Land bei drängender Wohnungsnot in innerstädtischen Ballungsräumen einen Teil des Wohnungsbestandes, steht es noch auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft – solange adäquat entschädigt wird.“ Das Interview drehte sich generell um das Gewicht, das der Staat im Wirtschaftsleben einnehmen solle. Als in Folge des Berliner Enteignungsvorstoßes Ökonomen die Soziale Marktwirtschaft explizit ins Grundgesetz schreiben wollten, hielt Di Fabio das für unnötig. „Deckel“ und generell besagte „Intervention“, das darf man vermuten, sähe er kritisch, denn „eine bis in Investitionsentscheidungen und Preisbildung hinein politisch gelenkte Wirtschaft“ lehnt er ab.
Im erwähnten „Campact“-Appell ist zu lesen: „Einfach herzzerreißend! Es darf doch nicht sein, dass explodierende Mieten Menschen in schwere Not bringen.“ Dieser gewinnende Stil dürfte ganz im Sinne der kontinent-überspannenden Runde sein, denn nicht zuletzt war sie einig in der Überzeugung: Um das Grundrecht Wohnen der Willkür von Zockern zu entziehen, müsse gesellschaftliches Bewusstsein erzeugt und konzentriert werden. Kurz: Es braucht die Macht der Straße.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Zeit, sich diverser zu präsentieren“
Rapper Schlakks über Potentiale und Kolonialismus im öffentlichen Raum – Über Tage 07/22
Das Trauma der Kurdinnen und die neue Weltpolitk
Amineh Kakabaveh in Bochum – Spezial 06/22
Einspruch gegen Aufrüstung
Aktion „Der Appell“ von Jan Dieren (SPD) – Gesellschaft 05/22
Eine klare Botschaft
Friedenskundgebung „Peace Please“ auf dem Kölner Heumarkt – Spezial 04/22
Utopien nicht nur für Frauen
Auftakt der Feministischen Aktionswochen Bochum – Spezial 03/22
Komplott-Kompott
Legendenbildung um einen Aggressor – Spezial 03/22
Solidarität mit der Ukraine
Friedensdemonstration gegen den russischen Überfall – Spezial 03/22
„Nicht nur zum Feiern zusammenstehen“
Stimmen von der Kölner Friedensdemo – Spezial 03/22
Sabotage für das Klima
Extinction Rebellion in Wuppertal
Appelle ans Miteinander
Kundgebung „Solidarisch durch die Pandemie“ am Bochumer Rathaus – Spezial 02/22
„Verfolgung der Drogenkartelle“ – CONTRA Cannabis
Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei in NRW über die Verharmlosung von Cannabis – Gesellschaft 12/21
„In 50 Jahren nichts erreicht“ – PRO Cannabis
Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter e. V. fordert eine Neuausrichtung der Drogenpolitik – Gesellschaft 12/21
Ernas Geschichte
Zweitzeugen e. V. leistet Erinnerungsarbeit – Spezial 08/21
Für Versammlungsfreiheit auf die Straße
Bündnis „Versammlungsgesetz NRW Stoppen“ demonstriert – Spezial 05/21
Krisen im Doppelpack
Klima-Talk bei Urbane Künste Ruhr – Spezial 04/21
Kultur-Metamorphose
Bermuda Talk goes Streaming – Spezial 03/21
„Pandemie ist eine Chance, die Kultur zu stärken“
Bermuda Talk erstmals online – Spezial 03/21
Klare Kante gegen Hierarchien
Anarchismus: Eine Einführung im AZ Mülheim – Spezial 02/21
Vom Mehrwert der KI
Diskussion „Learning AI“ im NRW-Forum Düsseldorf – Spezial 02/21
„Ruhrgebiet hatte immer etwas Mythisches“
Metropolenschreiber Ruhr Ariel Magnus über fremden Blick auf die Region – Über Tage 12/20
„Details, die wir noch nie gesehen haben“
Susanne Hüttemeister über die Wiedereröffnung des Bochumer Planetariums – Spezial 12/20
Erika Wobser
Nahaufnahme 12/20
„Über Generationen immer weitergegeben“
Autor Christoph Biermann über die identitätsstiftende Bedeutung von Schalke – Über Tage 11/20
Der Wurm soll fressen
Trash Up! 5.0 im Dortmunder Depot – Spezial 11/20
„Mehr als der Schutz dieses Waldstücks“
Ein Besuch im Hambacher Forst – Spezial 10/20