Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.560 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

„Antigone“
Foto: Isabel Machado Rios

Widerstand als Happening

26. Oktober 2017

Babett Grube inszeniert „Antigone“ in Oberhausen – Theater Ruhr 11/17

Hier kommt keiner raus! „Gesichert“ brüllen die Schauspieler, und dann knallen die Saaltüren des Oberhausener Theaters zu. Kein Entkommen, das Theater als sicherer Raum, in dem abgeschottet gegen die Gesellschaft deren Probleme verhandelt werden. So geschlossen die Bühne sich nach außen präsentiert, im Innern sind die Barrieren niedergelegt. Teile des Publikums sitzen auf der mit Computern, Bildschirmen, Servern möblierten Bühne, von der Stufen direkt ins den Zuschauerraum führen. Das Theater als öffentlicher Raum, in dem von den großen Aufständen der Gegenwart die Rede sein soll. Nicht differenziert, sondern nur als Schlagwort, Pathosformel und Erlebnisraum: Syntagma-Platz, Tahrir-Platz, Taksim-Platz. Fürs richtige Feeling muss allerdings erstmal Gemeinschaft gestiftet werden: Alle müssen Händchen halten, danach Sirtaki tanzen – heute geht keiner ohne Animation nach Hause. Sarkastischer als Babett Grube kann man das Theater nicht vorführen. Die junge Regisseurin verfügt für ihre „Antigone“-Inszenierung über eine einleuchtende konzeptionelle Idee, die allerdings in einem inszenatorischen Desaster endet.

„Antigone“ von Sophokles gilt als paradigmatisches Stück des Widerstands. So wie „Othello“ die Eifersucht oder „Faust“ den Wissendrang ins Zentrum stellen, so untersucht der antike Klassiker das Verhältnis von Individuum und Staat am Beispiel der Titelheldin, die über die Beerdigung ihres Bruders Polyneikes mit König Kreon in Streit gerät und am Ende unterliegt. Babett Grube fragt nach dem fortlaufenden Scheitern von Aufstand und Protest. „Antigone“ von Sophokles dient dazu jedoch allenfalls als Steinbruch. Das aktionistische Gruppen-Kuscheln von Antigone, Ismene sowie den toten Brüdern Polyneikes und Eteokles deuten nicht nur auf die 1960er Jahre, sondern auch auf das Problem der Ästhetisierung von Widerstand im Happening. Schon da zeigt sich allerdings, dass die kompilierten Texte, die szenische Prägnanz und dramaturgische Verdichtung kaum über Improvisationsniveau hinauskommt. Von Charakteren kann keine Rede sein. Ein Darsteller machte sogar aus seiner Unwilligkeit kein Hehl. Weiter geht es dann mit Psychotherapie: Mutter Iokaste nötigt die verlotterte Bagage mit therapeutischem Einfühlungssprech zur Familienaufstellung. Antigones Lover Haimon schwärmt vom Selbstversorgerdasein im Eigenheim und indischen Bestattungsritualen. Papa Kreon schließlich zelebriert sozialpädagogische Politrhetorik zwischen Schulz und Merkel. Ein Parforceritt von den 1960ern bis in die Gegenwart. Kunst, Therapie, Familie, Ökologie, Esoterik, Politik – viele gesellschaftliche Segmente tragen zur Konfliktvermeidung und -entschärfung bei. Doch ein kluges Konzept macht noch keinen guten Theaterabend. Das Etikett „Antigone *nach* Sophokles“ hilft da auch nicht, mehr als ein rhapsodischer Kommentar wird nicht geboten – weshalb einige Zuschauer die Premiere zu Recht noch während der Vorstellung verließen.

„Antigone“ | R: Babett Grube | So 29.10., So 12.11., So 19.11. 18 Uhr | Theater Oberhausen | 0208 857 81 84

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Arthur der Große

Lesen Sie dazu auch:

Von der Straße ins Theater
„Multiversum“ am Theater Oberhausen – Prolog 04/24

Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24

Vom Elvis zum Cowgirl
„The Legend of Georgia McBride“ am Theater Oberhausen – Prolog 02/24

„Die Geschichte wurde lange totgeschwiegen“
Ebru Tartıcı Borchers inszeniert „Serenade für Nadja“ am Theater Oberhausen – Premiere 01/24

Multiple Zukünfte, sinnlos zerstört
„Die Brücke von Mostar“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/23

Antworten, die verschwiegen werden
„And now Hanau“ in einem Oberhausener Ratssaal – Prolog 09/23

Folgerichtiger Schritt
Urban Arts am Theater Oberhausen – Theater in NRW 08/23

Apokalyptische Symbole
„Der lange Schlaf“ in Oberhausen – Theater Ruhr 07/23

Pennen für den Planeten
„Der lange Schlaf“ in Oberhausen – Prolog 05/23

Disco und Diskurs
Festival am Theater in Oberhausen – Prolog 04/23

Im Tanzschritt mit der verlorenen Zeit
Probenbesuch von „Faster“ am Theater Oberhausen – Bühne 03/23

Wenn einem die Natur kommt
„Woyzeck“ am Theater Oberhausen – Auftritt 01/23

Theater Ruhr.

Hier erscheint die Aufforderung!