Dass Meeressäuger stranden, ist nicht ungewöhnlich, sie tun das ab und an wenn sie altersbedingt sterben, sie tun das häufig, wenn ihnen übles Unterwassersonar die Orientierung raubt. Ein 14 Meter langer Buckelwal hat es jetzt bis in das Bochumer Museum geschafft. Eigentlich ist er bereits in Lambert’s Bay in Südafrika an den Strand geschwemmt worden und gestorben, doch der israelische Bildhauer Gil Shachar, der seit 1996 in Duisburg lebt und arbeitet, hat von ihm dort einen Abdruck gemacht und dann in Kunstharz nachgeformt. Und so liegt das Ungetüm dort im lichtdurchfluteten White-Cube wie die regungslose Inkarnation des Leviathans.
Bedrohlich wirkt er allerdings nicht, scheint eine graue gegossene Masse, die eher an Beton als an Epoxy denken lässt. Ob er wohl noch schwimmen könnte, denke ich, der die Laminier-Verarbeitung kennt und auch die wasserfesten Auftriebskräfte, während ich über die mächtigen Flossen steige und das Auge suche. Gil Shachar arbeitet ja viel mit Abformungen, aber einen Wal in Originalgröße, das fordert Respekt vor dem Werk, gepaart mit Demut vor dem Meeressäuger, der einst zu biblischen Erzählungen (Jonas), aber auch zu abenteuerliche Dramen (Melvilles Moby Dick) inspirierte. Aber für den Künstler stellt er wohl auch einen Teil des kindlichen Paradieses dar, denn der Wal geistert vergnügt durch bunte Bücher und über Kinderzimmerwände, allein das ein Grund mit den Kleinen mal ins Museum zu gehen. Dass er insbesondere ab dem 17. Jahrhundert systematisch dezimiert und auch heute noch zu dubiosen Zwecken gejagt wird, ist die Assoziationskette, die zwangsläufig an dieser mächtigen Skulptur baumelt.
Das künstlerische Werk der Abformung, 2018 durch Crowdfunding möglich gemacht, und seine Installation in einem Museum, wird von diesen Fragen erst einmal nicht berührt, die geformte graue Masse mit all ihren eingefallenen Dellen und Unebenheiten der Vergänglichkeit besteht auch als rein visuelle Oberfläche ohne Überbau. Eine Viertelstunde sollte man dann für die Dokumentation über die Herstellung auf jeden Fall noch opfern, allein das erste Abformen mit einer Gruppe aus südafrikanischen Präparatoren am südafrikanischen Strand ist sehenswert.
The Cast Whale Project | bis 25.10. | Museum Bochum | Eintritt frei | 0234 910 42 30
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Eine Kunst namens Fluxus
„How we met“ im Kunstmuseum Bochum
„Bei Fluxus ging es nicht ums Genie“
Direktorin Julia Lerch Zajączkowska über „How We Met“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 11/25
Fluxus trifft Free Jazz
Konzertreihe Klangbilder im Kunstmuseum Bochum – Musik 11/25
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
Räume und Zeiten
Eindrucksvoll: Theresa Weber im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 08/24
„Eine von Verflechtungen und Austausch geprägte Welt“
Kuratorin Julia Lerch Zajaczkowska über Theresa Webers „Chaosmos“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 06/24
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
Räume beleben
„Our house is a very very very fine house“ im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 01/24
„Toll für die Stadt, dass wir dieses Museumsgebäude haben“
Kuratorin Julia Lerch Zajączkowska über die Jubiläumsausstellung des Kunstmuseums Bochum – Sammlung 11/23
Alle mal spielen!
Takako im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 05/23
Das Rätsel des roten Steins
Inventur im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 02/23
Kulissen und Kojoten
Ian Page im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 10/22
Unter Ruhris
Brigitte Kraemer in Essen – Ruhrkunst 11/25
Wahre Geschichten
William Kentridge im Museum Folkwang Essen – kunst & gut 10/25
Solare Kräfte
„Genossin Sonne“ im Dortmunder U – Ruhrkunst 10/25
„Absurd und bewusst irritierend“
Kuratorin Inke Arns über „Genossin Sonne“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 09/25
Unterwegs im virtuellen Raum
Peter Kogler im Lehmbruck Museum in Duisburg – kunst & gut 09/25
Ruhrgebilder
Pixelprojekt-Neuaufnahmen in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 09/25
Imdahls Sehschule
50 Jahre RUB-Kunstsammlung in Bochum – Ruhrkunst 09/25
Formationen lesen
Amit Goffer im Haus Kemnade – Ruhrkunst 08/25
„Er fragt auch nach den Bezügen zu Europa“
Kurator Tobias Burg über „William Kentridge. Listen to the Echo“ im Essener Museum Folkwang – Sammlung 08/25
Appetithäppchen
Westdeutscher Künstlerbund (WKB) in Witten – Ruhrkunst 08/25
Geschichten und Gegenwart
Miriam Vlaming in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 08/25
Realismus des Alltags
Paula Rego im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 07/25