Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Foto: Presse Online Boneva

Siebzehn Mondphasen Wartezeit

02. November 2017

„Stück für drei Tänzer“ von Foteini Papadopoulou im Maschinenhaus Essen am 27.10. – Tanz in NRW 10/17

Die Bühne ist mittels Klebeband in einzelne Räume unterteilt und eingerichtet, alles ist in weiß gehalten und wirkt steril, an den Seiten tragen Ständer silberne und goldene Vorhänge. Es ertönt eine Warteschleife: „Bitte haben sie noch etwas Geduld“.

Auf dem Sofa liegt Alejandro Russo und blättert im trailer Magazin. Liliana Ferri De Guyenro kommt nach Hause, schlüpft in Glitzersocken von den Turnschuhen in die Hausschuhe, sagt kurz „Hi“ und wäscht sich die Hände. Bücher wie „Der schön gedeckte Tisch“ verraten, dass es hier um den äußeren Schein geht. Dieser Raum wirkt wie ein Warteraum. Ein Raum, in dem es eigentlich nichts zu tun gibt. Die beiden rücken Möbel, wollen Kaffee, haben aber keinen mehr und die Warteschleife sagt, dass die aktuelle Wartezeit noch fünfzig Minuten beträgt. Der Tanz durchbricht die Warteraum-Atmosphäre. Sie vollführen Bewegungen die emotional geladen sein könnten, Kniefälle, ein forderndes Ausstrecken der Arme, doch sie tun dies distanziert, mit kühlem Blick und ändern immer wieder den Kontext der Bewegung.

Gerade diese Distanz lässt das Geschehen absurd und skurril wirken. Russo öffnet einmal den Silbervorhang an der hinteren Bühnenwand, plötzlich erhellt sich der Raum, Straßengeräusche, Sirenen und Stimmen dringen zu uns durch. Wenig später schließt er den Vorhang wieder – zurück in die Warteschleife. Die Wartezeit beträgt mittlerweile siebzehn Mondphasen. Mit gut gearbeiteter körperlicher Präzision entfremden sie Alltagsbewegungen, gießen Wasser auf Tische und Stühle, als müsse das so sein. Sie versuchen sich in direkter körperlicher Übertragung an Aufforderungen aus der Popmusik („Twist and shout“, „Drop it like it‘s hot“) in gewohnt distanzierter Manier, als seien sie Ratgeber, die man befolgen müsse, ohne hinter die Zeilen zu schauen.

Zeitweise wird die Distanz durchbrochen, es erklingen Popsongs, ein Schlager über Kaffee wird von Robert Schulz vorgetragen und Lukas Tobiassen erzählt uns, was alles passiert wäre, wenn das Geld für einen dritten Tänzer gereicht hätte. Die beiden anwesenden Tänzer probieren sich an symmetrischen und asymmetrischen Posen, bis daraus Bewegung wird und der Bezugsrahmen fehlt, an dem überprüft werden könnte, ob Symmetrie vorliegt oder nicht. Passen sie ins Bild, oder nicht? In welches Bild sollen sie eingefügt werden? Russo und De Guyenro lassen ihren kleinen Dialog über Kaffee und Tee durch andere Themenbereiche schweifen: „Do you want some visions?“, „A slice of happiness?“, „Awesome, I´ll make some.“ Ein Mitarbeiter geht ans Telefon und beendet die Warteschleife, an diesem Punkt endet das Stück.

Papadopoulou hat einen authentischen, nie ins Pathetische abdriftenden Weg gefunden, etwas über Selbstinszenierung zu erzählen, ohne diese plakativ zu benutzen. Das Team beweist humoristisches Talent und wird mit häufigen Lachern und lang anhaltendem Applaus belohnt. Ich verlasse das Maschinenhaus mit der großen Lust, mich ins dreckige, städtische Getümmel zu werfen.

Judith Ouwens

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Trainingsraum für Begegnungen
„Nah“ im Maschinenraum Essen – Tanz an der Ruhr 11/23

Störung im System
„Dysfunktionieren“ im Maschinenhaus Essen

Wider das Mechanistische
„LandScaping 0.1“ im Maschinenhaus in Essen – Bühne 02/21

Krank durch Geschlechterklischees
Performerin Saskia Ruskat im Maschinenhaus Essen – Festival 09/20

Unter dem Meer
„Mermaid“ im Maschinenhaus Essen – Bühne 04/20

Der letzte Sturm im Schuhkarton
Live-Katastrophenfilm-Performance in Essen – Bühne 01/20

Es geht immer ums Überleben
Das neue Jahr im Essener Maschinenhaus – Bühne 12/19

All That Jazz
PENG Festival im Maschinenhaus Essen – Musik 10/19

Knalleffekt
3. PENG Festival in Essen – das Besondere 10/18

Let’s Fetz!
„Physical Fetz Nr.1“ – Festival des Physical Theatre Netzwerks. 13./14.4. im Maschinenhaus in Essen – Bühne 04/18

Hüftcheck
„Hips Don‘t Lie“ im Maschienenhaus Essen – das Besondere 04/18

Schwindelfrei
Ensemble Ruhr und ANGELS Aerials in Essen – das Besondere 03/18

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!