Im Zeitalter programmierter Verfallsdaten haben Reparaturbetriebe einen schweren Stand. Insofern wirkt die Debatte der vier Handwerker in Bob der Baumeister-Kostümen auf dem Oberhausener Ebertplatz anachronistisch. Sie stellen die Frage, ob man „Liebe reparieren“ kann. Eher nicht, man kann sich aber in bessere Zeiten zurückversetzen. Alle Zuschauer der Oberhausener „Sommernachtstraum“-Inszenierung von Paul-Georg Dittrich verfolgen den ersten Akt auf Bildschirmen eines Tablets. Helenas Befremden, als sie dann „live“ über die Blindheit der Liebe spricht, von den Zuschauern aber kaum beachtet wird, ergibt einen netten Rückkopplungseffekt. Danach verteilt sich das Publikum auf Zuschauerraum und Bühne des Theaters, in das eine Installation aus zerknautschten Segelflugzeugen (Ausstattung: Christian Wiehle) samt Toten gerammt ist – ein Bild irgendwo zwischen geflügelter Amor-Ikonografie, Naturbeherrschung und Klimakatastrophe, doch dünn an Erkenntnisgewinn.
Titania und Oberon (Elisabeth Hoppe, Jan Viethen) in beigefarbenem Anzug und Kleid geben das zickige ältere Ehepaar, das seinen Dialog mittels Fernbedienung zurückspult. Es geht hart und empört zu. Am deutlichsten zeigt sich das bei Puck (Clemens Dönicke) im bunten Hosenanzug, der letztlich nur ein kindlicher Vollstrecker ohne Spieltrieb ist. Die Liebestropfen gewinnt er, indem er ein Handy zum digitalen Smoothie verquirlt. Demetrius ist ein Musterschüler, der nun von der liebestollen Diva Helena (Lisa Wolle) verfolgt wird. Ihr Pendant Lysander (Burak Hoffmann) wirkt dagegen orientierungslos, obwohl er eigentlich der biederen Hermia (Ayana Goldstein) nachstellen müsste. Irritiert oder verstört ist keine der Figuren, eher wütend angesichts der amourösen Fehlprogrammierung. Anteil nimmt man an ihrem Schicksal nicht.
Zum Schluss wird das Publikum zur Hochzeits-Coda aus dem Zuschauerraum zurück auf den Ebertplatz gescheucht, wo man zwischen Sprechchor, Massentrauung und Holzstämme sägen wählen kann. So aufwendig die vollmundig als „multimediales Gesamtkunstwerk“ angekündigte Inszenierung daherkommt, ihre Einzelteile schließen sich nicht zusammen. Und die Frage, ob Shakespeares „Sommernachtstraum“ Aussagen über die Liebe im digitalen Zeitalter zulässt, sind letztlich nicht wirklich beantwortet.
„Ein Sommernachtstraum“ | R: Paul-Georg Dittrich | 3., 5., 6.7. je 19.30 Uhr, 7.7. 18 Uhr | Theater Oberhausen | www.theater-oberhausen.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Pennen für den Planeten
„Der lange Schlaf“ in Oberhausen – Prolog 05/23
Disco und Diskurs
Festival am Theater in Oberhausen – Prolog 04/23
Im Tanzschritt mit der verlorenen Zeit
Probenbesuch von „Faster“ am Theater Oberhausen – Bühne 03/23
Wenn einem die Natur kommt
„Woyzeck“ am Theater Oberhausen – Auftritt 01/23
Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22
„Geld ist genau das Problem in diesem Bereich“
Maike Bouschen über „Zwei Herren von Real Madrid“ am Theater Oberhausen – Premiere 12/22
„Was ist das eigentlich, was wir Humanismus nennen?“
Kathrin Mädler bringt „Kissyface“ erstmalig auf die Bühne – Premiere 10/22
Die Schandmaske eines Brauchtums
„Karneval“ am Theater Oberhausen – Auftritt 03/22
Das Phantom in der ehemaligen Oberhausener Oper
Florian Fiedler inszeniert „Kohlenstaub und Bühnennebel“ – Auftritt 01/22
„Gibt es die Möglichkeit, ein Stereotyp vom Weißsein zu konstruieren?“
Joana Tischkau über Rassismus in der Karnevalskultur – Premiere 01/22
Hausgeister aus der Theatervergangenheit freigelassen
Florian Fiedler im Theater Oberhausen – Prolog 10/21
Glück und Erfolg im Strukturwandel?
Premiere: Nebraska am Theater Oberhausen – Bühne 05/21
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20
Ein hochemotionaler Spiegel
Khaled Hasseinis „Drachenläufer“ in Castrop-Rauxel – Theater Ruhr 01/20
Donna Quichotta der Best Ager
„Linda“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 01/20
Spiegelei, Toast und Tier
„Das Reich der Tiere“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 12/19
Heute geht es auch ohne Brandbeschleuniger
„Biedermann und die Brandstifter“ in Essen – Theater Ruhr 11/19
Desinfiziert und doch tot
„Die Pest“ in Moers – Theater Ruhr 11/19
Wenn Datenberge erodiert sind
„Identität“ in Dortmund – Theater Ruhr 11/19