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Schicke Kampfzone für Verlierer

01. Juni 2009

Katja Lauken inszeniert Ewald Palmetshofers Text "Wohnen. Unter Glas" im Bochumer Theater Unter Tage - Theater Ruhr 06/09

Auf der Bühne stehen Pseudolinke von damals, die sich kaum gegen den Krieg auf dem Balkan aufgelehnt haben. Es sind Kinder, die im Wohlstand aufgewachsen sind und mit Euro in den Taschen ins Berufleben gestolpert sind, sie stoßen auf Kreuzwege der Visionen und Hoffnungen, dafür opfern sie Wohngemeinschaft und Liebesbeziehung. Jetzt treffen sie sich nach zehn Jahren wieder, im schicken Hotel, 11. September, unauffindbare Weapons of Mass Destructions, selbst der Tsunami sind längst aus den Augen verloren, wie eigentlich die ganze Dekade selbst. Einen Abend und eine Nacht lang umschwirren sie sich wie Motten, die eine Kerze am Ende des Tunnels fürchten. „Wir haben einmal dazu gehört. Zur Mittelschicht, zur emotionalen Mittelschicht". Dieser Satz trifft das Magma im Kern einer ganzen Generation, die immer noch auf irgendetwas Epochales wartet und doch freiwillig in der Bedeutungslosigkeit verharrt.

Ewald Palmetshofers Stück „wohnen. unter glas" gibt der ehemaligen Clique mit Kuschelfaktor eine neue Chance, die letzte wohl. Babsi, Jeani und Max wollen diverse Enttäuschungen und letzte Hoffnungen auf fortzuschreibende Gemeinsamkeit aufarbeiten und ausloten. Doch der Verwesungsgeruch einst stolzer Blüten weht bereits über das Set im Bochumer Theater unter Tage. Die aufgesetzte Komödie ist eigentlich ein Trauerspiel. Wortfetzen verwehen, die Philosophie eines neuen Lebenshöhepunkts scheitert am dreifachen Einzelzimmer.

Dabei hat der Österreicher Palmetshofer den Jammerfaktor ausgeschaltet, lässt die Liebe als heimlichen Lästerer durch die Nacht spuken, die alle drei auf dem Hotelbalkon verbringen, weil ihre Einsamkeit sie nicht schlafen lässt. Sie sind streitende Narren, die nicht mehr wissen, wofür sie die schicke Kampfzone betreten haben. Regisseurin Katja Lauken choreografiert ihre Protagonisten auf einer Aussichtsplattform vor idyllischer Bergkulisse, doch so richtig funktionieren die Abläufe der Figuren nicht. Des Autors Sprache verlangt den stakkatohaften Dialog mit endlosen „Dus“, Bewegung wird nur noch als Stilmittel für den Text benötigt, wie das elegante Bühnenbild (Kathrine von Hellermann) auch.

Der Spaßfaktor hält sich dabei in Grenzen, zu durchsichtig ist das Gespinst zwischen den dreien, zu spannungslos die Suche nach Bedeutung. Hochdramatisch geht anders, doch dafür scheint diese Generation eben zu farblos, selbst der liebesunfähige Max (Marc Oliver Schulze spielt ihn gewissenhaft authentisch) zwischen zwei willigen Frauen verliert sich lieber in Selbstmitleid. Braucht es Trauerarbeit für ein verpasstes Leben mit Anfang dreißig? Nein. Insofern hat der Text als bebilderte Tatsachen-Deskription viel zu leisten. Palmetshofers ureigene Sprache, zu Unrecht oft mit Werner Schwab oder Thomas Bernhard verglichen, lebt vom Unausgesprochenen, vom diffizilen Subtext hinter den Zeilen. Lesung oder Inszenierung scheinen sich für sein Theater nie auszuschließen, kein leichter Umgang für eine Bühne, aber doch leichte (nicht seichte) Kost beim genauen Zuhören, das eine oder andere Schmunzeln eingeschlossen. Diese Generation gerät leicht zur Lachnummer, die allerdings eher zum Heulen sein sollte.


PETER ORTMANN

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