Neue Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und ein merkwürdiges Konglomerat in der politischen Schicht aus dämlichen Leugnern und der verzweifelten Suche nach Antworten, die keine rechten Wähler kosten. Dabei ist es doch ganz einfach: Wer die AfD wählt, wählt auch Nazis, und wer die Brandstifter sind, dürfte nach Halle eigentlich jedem „Protestwähler“ klar sein, nämlich die, die heimlich still und leise das Benzin auf die Dachböden schleppen und von den Bürgen noch die Lunte verlangen. Klar soweit? Damit ist ausreichend erklärt, warum „Biedermann und die Brandstifter“ in Essen im Grillo gespielt werden und warum Regisseur Moritz Peters die Parabel so und nicht anders inszeniert hat.
Die freie Treppe zum Dachstuhl, mehr benötigen die Täter nicht, mehr ist im Bühnenbild von Nehle Balkhausen auch nicht zusehen, der Rest sind Kostüme (Arianna Fantin) und Requisiten wie schwarze schwere Säcke, Kränze oder etwas Geschirr. Max Frischs aberwitzigen Aufbau in die fast groteske Spielsituation plus Epilog in der Hölle stört das nicht. Peters Protagonisten sind dem stetigen Wandel bis hin zu geschminkten Arthur-Fleck-Gestalten, die das Feuer lieben und heute auch ohne Brandbeschleuniger klarkommen. So holt die Regie den feinen Schweizer schwarzen Witz in die deutsche braune Prollbrühe, die auf Videowänden fast dauerpräsent zur Schau gestellt wird, während eine ultraleise Soundspur auch während der Frisch‘schen Dialoge einfach keine Stille zulässt. Am Ende trägt das klagende Ehepaar Biedermann allen Unbill auf den Schultern. Im Mittelmeer schwimmen Inseln aus leeren Rettungswesten. Weil der Mensch frei in Entscheidungen ist, gibt es auch keine Entschuldigung fürs Nichthandeln (Sartre).
„Biedermann und die Brandstifter“ | R: Moritz Peters | 23.11., 6.12., 30.12. 19.30 Uhr | Grillo-Theater Essen | 0201 81 222 00
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