Es ist ein festes Ritual, das die beiden Herren da exerzieren: Rupert Lehofer und Ed. Hauswirth schlurfen auf die Bühne. Der eine hält ein Maßband an die Wand und ein Bild dran. Mit dem Bohrer schraubt er den Rahmen fest. Nun hängt an der Wand eine Fotografie. Darauf ist eine Frau abgebildet, die in enger Hose mit dem Bauch auf einem Absatz liegt, wodurch der Fokus auf ihr Gesäß gelenkt wird. Laszive, gar sexistische Darstellung? Die beiden Herren nicken zufrieden nach dieser Heimwerk-Session. Darauf stoßen sie mit einem Bier an.
Darauf ein Bier
Sahar Rahimi widmet sich im Stück „Dudes halten endlich die Klappe“, ein Gastspiel des Theaters im Bahnhof Graz im Rahmen des Impulse Festivals, jener Spezies, die oft lautstark auf sich aufmerksam macht: alte weiße Männer, die Hauswirth im braun-grün gestreiften Pulli und Lehofer im rotweiß-karierten Hemd verkörpern. Ohne nur ein Wort zu verlieren. Vielleicht haben sie sich auch nichts zu sagen. Weil alles beim Alten bleibt, das sie in Rahimis Inszenierung gleich noch mal wiederholen dürfen: Bilderrahmen auspacken, bohren, Bier herunterstürzen.
Folglich fällt an diesem Bühnenabend im FFT Düsseldorf erst ein Wort, sobald die 13-jährigen Florentina Piffl und Emilia Thelen die Bühne betreten – just, als die beiden Herren dabei sind, ihr Ritual zum dritten Mal durchzuführen. So irritieren sie die Ruhe der Wiederholung zunächst durch ihren Dialog über den Irrsinn der Macht und den Kontrollwahn des Patriarchats. Dass diese Attribute nicht unbedingt auf diese putzigen Pilspockenträger zutreffen, schwingt auch im Urteil der Mädchen mit: „niedlich“.
Ohne Worte
Hier kommentiert also die Generation Z das wortlose Treiben dieser dickbäuchigen Boomer-Prototypen, die im Miniaturmodell die Reproduktion des Bestehenden vollführt. Denn den beiden 13-Jährigen obliegt es, in der zweiten Hälfte dieser knapp einstündigen Aufführung das Treiben der Herren zu dirigieren. Ihre Regieanweisungen fordern etwa, dass die „Dudes“ sich dehnen, hüpfen oder eben das Bild quer hängen sollen. Irgendwann sollen sie auch das Bier darüber kippen. Der Ausgang muss an dieser Stelle nicht verraten werden. Die alten weißen Männer reagieren mürrisch, aber tatsächlich: Bis zum Ende halten sie die Klappe.
Impulse Theaterfestival | 8. bis 18.6. | Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr | 0202 69 82 72 06
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Lässt sich Identität stehlen?
„Justitia! Identity Cases“ beim Impulse Festival – Bühne 06/23
Leiden am Fremdideal
Satoko Ichiharas „Madama Butterfly“ beim Impulse Theater Festival – Festival 06/22
Rassistische Lehrjahre
„The Kids Are Alright“ beim Impulse Theater Festival – Festival 06/22
„Im Hier und Jetzt“
Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival – Premiere 05/18
„Experimente, die anderswo so nicht möglich sind“
Der künstlerische Leiter Florian Malzacher über das Impulse Theater Festival – Premiere 06/17
Babylon funktioniert
„Die Botschafter" eröffnet Impulse-Festival im Tanzhaus NRW in Düsseldorf – Theater 06/16
What is it good for…?
Impulse 2016: Ziemlich nah am kriegerischen Zeitgeist – Prolog 06/16
Das Chaos erkunden
Impulse-Festival (15.-25.6. in Düsseldorf, Mülheim und Köln) präsentierte sein Progamm
Heiße Steine
Das Impulse Festival 2015 – Theaterleben 07/15
Was wir verlieren würden
Kunststiftung NRW stellt Förderung des „Impulse“-Festivals ein
Implusion
Impulse-Festival vor dem Aus
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 07/24
Keine Spur von Rechtsruck
Die Ruhrtriennale 2024 in Bochum, Duisburg und Essen – Prolog 07/24
Körperpolitik und Ekstase
„Tarab“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 07/24
„Das Risiko war der Neustart“
Die Intendantinnen Christina Zintl und Selen Kara nach ihrer ersten Spielzeit am Schauspiel Essen – Interview 07/24
„Das ist fast schon eine Satire“
Alexander Becker inszeniert „Die Piraten von Penzance“ am Opernhaus Dortmund – Premiere 07/24
Für Groß und Klein im Ruhemodus
Sommertheater in NRW – Prolog 06/24
Piraten von gestern und heute
Die Junge Oper Dortmund zeigt „Die Piraten von Penzance“ – Prolog 06/24
Queen trifft Edith Piaf
„Bye-Bye Ben“ am Aalto Theater Essen – Tanz an der Ruhr 06/24
Non-binär und nicht vergoethet
„Mein Blutbuch“ in der Essener Casa-Theaterpassage – Prolog 06/24
„Es ist ein Weg, Menschen ans Theater zu binden“
Regisseurin Anne Verena Freybott über „Der Revisor kommt nach O.“ am Theater Oberhausen – Premiere 06/24
Grusel und Skurriles
40. Westwind Festival in Essen – Prolog 05/24
Gegen Remigrationspläne
Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 05/24
„Brisante politische Inhalte, lustvoll präsentiert“
Leiter Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival 2024 in Köln, Düsseldorf und Mülheim a. d. Ruhr – Interview 05/24