Im Laufe dieser knapp 45 Minuten Spielzeit von „The Kids Are Alright“ wird schnell klar, dass sich alles im Kreis dreht. Das betrifft nicht nur dieses Spielplatz-Karussell, auf dem ein Teil des Publikums sitzt. Was symbolisch mit der Thematik dieser Installation korrespondiert: der ewigen Wiederkunft des Rassismus, mit dem in der Bundesrepublik mittlerweile über drei Generationen konfrontiert sind.
Brandanschläge und Pogrome
Davon berichten in dieser Produktion, 2020 in den Sophiensälen aufgeführt, sechs Erwachsene, die auf ebenso vielen Videoleinwänden zu sehen sind. Sie sind Soziologiepromovenden, Theaterregisseure oder Aktivist:innen. Und doch teilen sie eine Familienerzählung, einen Generationskonflikt. Denn ihre Eltern fassten ihre Hoffnungen in einem Satz zusammen, der sich wie ein roter Faden durch diese Produktion zieht: „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben.“
Schließlich kamen ihre Eltern in Deutschland an, um dem Nachwuchs ein besseres Leben als das eigene zu ermöglichen. Dafür arbeiteten sie hart und nahmen Entbehrungen in Kauf, wie die sechs Protagonisten erzählen. Doch sie sprechen zugleich über diese 90er-Jahre, als sie im frisch wiedervereinigten Deutschland aufwuchsen und ihre Eltern nach Erklärungen fragten für diese rassistischen Brandanschläge und Pogrome in Solingen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen.
Der Untertitel dieser von Simone Dede Ayivi konzipierten Installation lautet: „Eine Stimmenzusammenführung“. Und tatsächlich ist nie eindeutig zuzuordnen, welche gesprochenen Worte zu welchen Körpern auf den Bildschirmen gehören. So entsteht ein Stimmengeflecht, ein Wir, das eine andere Perspektive eröffnet als jener nationalistische Taumel, der sich im Ausgang der „Wende“ von 1989 für einen großen Teil der Bevölkerung als Gefahr für Leib und Seele herausstellte.
Bundesdeutsche Realität
Was hat sich daran geändert? Diese Fragen stellen sich heute die Kinder der 90er-Jahre, wenn sie ihren Kleinen die Gegenwart erklären müssen: Chemnitz, Hanau und Halle – Chiffren einer bundesdeutschen Realität. Wie ein Kontrast erscheint dagegen Theresa Reiwers Bühnenbild aus Schaukelpferden und Plüschtieren. Als ginge es um die Sehnsucht nach einer normalen Kindheit, einem unbesorgten Aufwachsen, einem besseren Leben.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Lässt sich Identität stehlen?
„Justitia! Identity Cases“ beim Impulse Festival – Bühne 06/23
Regieanweisungen fürs Patriarchat
„Dudes halten endlich die Klappe“ beim Festival Impulse – Bühne 06/23
Leiden am Fremdideal
Satoko Ichiharas „Madama Butterfly“ beim Impulse Theater Festival – Festival 06/22
„Im Hier und Jetzt“
Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival – Premiere 05/18
„Experimente, die anderswo so nicht möglich sind“
Der künstlerische Leiter Florian Malzacher über das Impulse Theater Festival – Premiere 06/17
Babylon funktioniert
„Die Botschafter" eröffnet Impulse-Festival im Tanzhaus NRW in Düsseldorf – Theater 06/16
What is it good for…?
Impulse 2016: Ziemlich nah am kriegerischen Zeitgeist – Prolog 06/16
Das Chaos erkunden
Impulse-Festival (15.-25.6. in Düsseldorf, Mülheim und Köln) präsentierte sein Progamm
Heiße Steine
Das Impulse Festival 2015 – Theaterleben 07/15
Was wir verlieren würden
Kunststiftung NRW stellt Förderung des „Impulse“-Festivals ein
Implusion
Impulse-Festival vor dem Aus
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Bockig und vergnügt
„Das Neinhorn“ in Bochum
Die Zwänge der Familie
„Antigone“ in Duisburg – Prolog 09/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24
Wüste des Vergessens
„Utopia“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/24
„Das Publikum braucht keine Wanderschuhe“
Intendant Ulrich Greb inszeniert „Ein Sommernachtstraum“ am Schlosstheater Moers – Premiere 09/24
Künstlerisches (Ver-)Lernen
Das Favoriten Festival 2024 in Dortmund – Prolog 08/24
Gegenwart einer Gegenkultur
„Pump Into The Future Ball“ in der Jahrhunderthalle Bochum – Tanz an der Ruhr 08/24
Das Trotzen eines Unglücks
Die neue Spielzeit der Stadttheater im Ruhrgebiet – Prolog 08/24