Oben, in der Dauerausstellung mit ihren eingezogenen Ebenen unter der großen Kuppel, sieht es jetzt echt kümmerlich aus. Viele Gemälde sind abgehängt, Vitrinen leergeräumt. Die Wände sind als eingezogene billige Konstruktionen sichtbar – kurios, dass die Sonderausstellung im Erdgeschoss in ihrem abschließenden Wandtext doch gerade zum Besuch dieser oberen Räume auffordert. Unter dem etwas verdächtig klingenden Titel „Remix. 800 Jahre Kunst entdecken“ sind bis auf weiteres die wichtigen, wenngleich oft eher unbekannten Gemälde und Skulpturen vom Mittelalter bis zum Jugendstil gemeinsam in linear chronologischer Abfolge zu sehen. An Stelle des bisherigen kulturhistorischen Kontextes tritt der kunsthistorische Dialog.
Am meisten beeindruckt der erste Saal. Verdunkelt, sorgfältig inszeniert, feiert er die Kunst des Mittelalters mit Tafelbildern, Holzschnitzereien, Skulpturen, Kruzifixen und Flügelaltären. Anschaulich wird die Anbindung an das Christentum, an Frömmigkeit und Spiritualität. Der Titel dieses Ausstellungskapitels „Gefühl und Innigkeit“ vernachlässigt, dass drastische Vorstellungen realistisch wiedergegeben sind und sich die biblischen Erzählungen in diesem Zwiespalt visuell artikulieren. Auf die irdische Dimension verweist ja schon ein niederländisches Gemälde mit dem Titel „Ecce homo“. Auf einem anderen, von Conrad von Soest stammenden Gemälde beeindruckt das gestenreiche Spiel der Finger von Muttergottes und Jesuskind mit einer Perlenkette, welche die beiden miteinander verbindet. Spannend zu verfolgen ist bei all dem, wie sich über die Zeit das Menschenbild in der künstlerischen Wiedergabe wandelt.
Fließend ist der Übergang zur frühen Neuzeit und weiter bis ins frühe 20. Jahrhundert. Leider sind die Epochen unterschiedlich gut vertreten. Interessanter scheint der Blick auf die Einzelwerke. Große Freude bereiten die zwei Gemälde von Caspar David Friedrich. Völlig überraschend ist „Die Hartkortsche Fabrik auf Burg Wetter“ (1834) von Alfred Rethel, die den Wettstreit zwischen der beginnenden Industrialisierung und dem verklungenen Mittelalter demonstriert: Während sich rauchende Schlote in die Höhe recken, ziehen am unteren Bildrand winzig klein Pferde einen Leiterwagen. Ein reines Vergnügen ist Carl Spitzwegs „Ständchen im Mondenschein“ mit seinen raffinierten Beleuchtungseffekten, die das Mauerwerk der Wohnhäuser ausdifferenzieren. Umfangen von grün-blauer Dunkelheit schauen versprengt Menschen aus den Fensteröffnungen und verbinden öffentlich mit privat und den Einzelnen mit der Gesellschaft. Hinzuweisen ist auf die Bronzeskulpturen von Constantin Meunier als Beispiele für einen sozialkritischen Naturalismus Ende des 19. Jahrhunderts. Und dann folgen die deutschen Impressionisten Liebermann, Slevogt und Corinth und schließlich findet sich, als Abschluss der Ausstellung, ein beeindruckendes Frauenporträt von Franz von Stuck, eingefasst als Oktogon. Also, auch wenn richtige Highlights der Kunstgeschichte fehlen, ist die Sammlung so anregend, dass man nicht zur Dauerausstellung muss. Trotzdem: Hoffentlich wird diese mit – dann erstmals gezeigten – Werken aus dem Museumsdepot aufgefüllt.
Remix. 800 Jahre Kunst entdecken | bis auf weiteres | Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund | 0231 502 60 28
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