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Waschsalonbetreiber, ratlos
Foto: Jakob Studnar

Mit der Flex an die Macht

25. Februar 2016

Shakespeares „Richard III.“ in Moers – Theater Ruhr 03/16

Im Waschsalon des Todes ist immer Betrieb. Man kommt mit dem Zählen nicht nach, so oft öffnet die große Edelstahltrommel auf der Moerser Bühne ihr gefräßiges Maul, um die Leichen aufzunehmen: Die Prinzen Edward und Richard, Lord Hastings, Lord Rivers, Lady Anne und viele andere. Kommt der Waschgang dann richtig auf Touren, sprudelt in der Mitte der vorgelagerten schrägen Bühnenscheibe eine rote süßliche Fontäne aus dem Boden. Regisseur Ulrich Greb macht aus dem Morden in Shakespeares „Richard III.“ ein Geschäft mit dem Titelhelden als Geschäftsführer, der für den ständigen Nachschub sorgt. Ob man Birgit Angeles Bühnenbild-Metapher als Machtapparat, als mechanische Entsorgungsmaschinerie oder, worauf die Spinde an den Seiten schließen lassen, als Arbeit des Todes deutet – dieses Machtgetriebe ist ein zutiefst groteskes, das sich bei den Schlachtfesten des Grand Guignol, bei Alfred Jarrys ubuesken Fäkalfantasien bis zu Quentin Tarantinos lustigen Gewaltorgien bedient. König Edward IV. im Krönungsornat versucht Frieden zu stiften und scheißt sich dabei unaufhörlich ein, was ihn schließlich umbringt – nicht ohne dass er sich vorher in die Hose gefasst hätte. Hastings (Matthias Heße) mit Dauerwelle und Pluderhose bleibt zwar standfest, wird aber mit der Flex einen Kopf kürzer gemacht. Prinz Edward läuft mit Spritzpistole herum, bis ihm das Herz rausgerissen und Richard zum Verzehr gereicht wird. Clarence (Holger Stolz) gibt das Stehaufmännchen und braucht eine Unzahl von Messerattacken, bis er endlich waschmaschinenreif ist.

Das Ensemble ist auf fünf Schauspieler beschränkt, die häufig die Rollen wechseln, und wie Kai-aus-der-Kiste aus den beschrifteten Spinden auftreten. Für zusätzliche Komik sorgt, dass die Frauen von Männern gespielt werden. Außerdem zitiert Kostümbildnerin Michaela Springer hemmungslos aus der Klamotten-Geschichte, lässt Kniehosen und Halskrause zu Arbeitsschuhen tragen. Die Machtmaschine läuft, nur einer hält sich raus: Richard III., der eigentlich machtgeile Usurpator. Marissa Möller spielt ihn als Selbstdarsteller, der sich erst mal selbst überzeugen muss („Ich bin soooo böse!“). Sie ist in neutrales Grau gekleidet, gibt sich unbeteiligt, drückt aber in den entscheidenden Momenten die richtigen Mordknöpfe, um die Richtung vorzugeben. Was das über Machtstrukturen sagt, bleibt die Frage. Nur groteskes Gehampel? Ein Apparat, der seine Kinder frisst? Macht als kybernetisches Modell? Der Abend hat trotz der parodistischen auch ergreifende Momente wie die erwähnte Friedensaktion von König Edward oder den erbitterten Streit zwischen den beiden Königinnen Margaret (Frank Wickermann) und Elisabeth. Richard wandelt sich schließlich zu einem narzisstischen Monster: Er züngelt erotisch mit seinen Schergen, steppt vor dem Publikum mit der Bitte um Liebe, bis er schließlich weiß geschminkt im Krönungsornat völlig vereinsamt dasteht und minutenlang verzweifelt nach seinem Schergen Catesby ruft – um sich am Ende in seinen Mörder und Nachfolger Richmond zu verwandeln. Die Waschmaschine bleibt im Dienst.

„Richard III“ | R: Ulrich Greb | Fr 18.3., Mi 27.4. 19.30 Uhr, So 20.3. 15 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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