„Me-you-cycle“. Mit einem „fremdartigen Akzent“ gesprochen, klingt das in etwa wie „Musical“ – und ist damit als Titel so treffend wie von hinten durch die Brust ins Auge. Aber es vermittelt durchaus einen guten Eindruck von der ersten eigenen Ruhrtriennale-Produktion der Tänzerin und Choreografin Eleanor Bauer, die an diesem Wochenende im Pact Zollverein zu sehen ist: Die Performance soll alles auf einmal sein – und doch nichts so richtig.
So verwundert es gar nicht so sehr, dass ausgerechnet der Tanz an diesem Abend zunächst eher kurz kommt. Denn Bauer strebt nach einem „Gesamtkunstwerk“, wie sie selber sagt, mit Monologen und Dialogen, Songtexten, Sprechgesang und im Verlauf von zwei Stunden Aufführungsdauer zunehmend auch Tanz. Der Komponist Chris Peck hat den teils sehr experimentellen, teils popsonghaft simplen „Liederzyklus“ mit Bandbegleitung vertont. An die Gesangskünste der vier Performer, zu denen auch Bauer gehört, stellt er mitunter hohe Anforderungen. Und die werden auch erfüllt. Die Qualität der Performance entspricht durchaus dem perfektionistischen Anspruch der Projektschöpfer.
Allein ans arme Publikum scheint niemand so recht gedacht zu haben. Dem beginnt irgendwann der Kopf zu rauchen vor lauter Text-Input und politischen Botschaften, die Bauer alle gerne loswerden möchte. Um nichts Geringeres als um eine umfassende Kritik am globalisierten Kapitalismus und den Auflösungserscheinungen menschlicher Kommunikation durch das Internet geht es ihr. Die Themen sind spannend, aber inhaltlich wie sprachlich (gesprochen wird überwiegend Englisch mit Übertiteln) ziemlich starker Tobak für einen „Liederzyklus“. Zumal Bauer auch noch alles mit reichlich Ironie würzt. Das führt zu einigen wirklich witzigen Szenen, die allerdings am besten bei den banaleren Aspekten des alltäglichen Internetwahnsinns funktioniert.
Spätestens bei den „Poetic Terrorists“ und „Emotional Hackers“, die im Kampf gegen die „Enteignung der Kommunikation“ dazu aufrufen, sich von sämtlichen Identitäten und materiellem Besitz zu befreien, verliert sich die erkennbare Ironiegrenze zunehmend. Bauer karikiert in einer der stärkeren Szenen den missionarischen Feuereifer eines typischen US-amerikanischen Predigers sehr treffend. In gewisser Weise wirkt aber auch ihre Arbeit von einem missionarischen Sendungsbewusstsein durchdrungen, wo ein wenig mehr Selbstironie und Entspanntheit angebracht gewesen wäre. Immerhin: Denkanstöße liefert dieses Stück im Übermaß.
Meyoucycle: Fr 9.9., Sa 10.9., So 11.9. jeweils um 20 Uhr | Pact Zollverein, Bullmannaue 20a, 45327 Essen | www.pact-zollverein.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Fortschritt ohne Imperialismus
„Libya“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/24
Vernetzung und Austausch
Kultur Digital Kongress auf PACT Zollverein – Gesellschaft 10/23
Alptraum ohne Ausweg
Ruhrtriennale: Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ in Bochum – Oper 09/23
Gitarrengewitter im Landschaftspark
Anna Calvi bei der Ruhrtriennale – Musik 08/23
Dem Horror entfliehen
„The Visitors“ bei der Ruhrtriennale – Tanz an der Ruhr 09/23
Monumentales Werk
„Das große Abend- und Morgenlob“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 08/23
Die Trommel mal ganz vorne
„Schlagzeugmarathon“ in Essen – Improvisierte Musik in NRW 08/23
Kontrollverlust und Lüste
Zwei „hemmungslose“ Schauspiele bei der Ruhrtriennale – Prolog 08/23
Von guten und bösen Geistern
Ruhrtriennale 2023 an div. Orten im Ruhrgebiet – Prolog 06/23
Einblick in die Imaginationsmaschinerie
„A Day is a Hundred Years“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 06/23
Ruhrpott als Hiphop-Heimat
Neues Urban Arts Ensemble Ruhr von Pottporus e.V. – Tanz an der Ruhr 06/23
„Orte der Kunst könnten etwas anderes sein“
Stefan Hilterhaus über die Kunstproduktion – Interview 04/23
Von der Straße ins Theater
„Multiversum“ am Theater Oberhausen – Prolog 04/24
Tödlicher Sturm im Wurmloch
„Adas Raum“ am Theater Dortmund – Prolog 04/24
Die ultimative Rache vor weißer Schleife
„Die Fledermaus“ mit Schauspielstudierenden an den Kammerspielen Bochum – Auftritt 04/24
Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24
„Zu uns gehört das Lernen von den Alten“
Intendant Olaf Kröck über die Ruhrfestspiele 2024 – Premiere 04/24
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
Verloren im Nebel
Das Duo Paula Rot im Foyer des Theaters Duisburg – Bühne 03/24
Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24
Glücklich bis ans Ende?
„Star-Crossed Lovers“ in Essen – Prolog 03/24
Liebe und Gewalt
„Told by my Mother“ in Mülheimer a.d. Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/24
„Im Gefängnis sind alle gleich“
Regisseurin Katharina Birch über „Die Fledermaus“ an den Bochumer Kammerspielen – Premiere 03/24
Sternfahrt zum Shoppen
„Einkaufsstadt, 4300“ von Trio ACE in Essen – Prolog 03/24
Über die Familie
45. Duisburger Akzente – Festival 03/24