Wie teilt man einen Haufen königlichen Torf, wenn man drei Töchter hat? Das ist die Frage. In Dritteln wird die hingeschüttete Erde auf der Bühne nicht den Eigentümer wechseln, das ist klar. Schließlich sitzen die Zuschauer im luftigen großen Haus des Bochumer Theaters und genießen endlich wieder Shakespeares sperriges Hauen und Stechen um Besitz und Ehre. Wer Deutungshoheit über die Wahrheit hat, wird hier erst einmal reich belohnt, denn „King Lear“, das späte Stück von Shakespeare, ist auch eine Auseinandersetzung zwischen Generationen und deren Umgang mit Anstand, Liebe und Respekt, erzählt aber eben auch von der Kunst, immer mit Dreck zu schmeißen, wenn es dem eigenen Vorteil dient.
Nichts ist vom Hof des Königs bei Johan Simons übrig geblieben. Die Bühne ist eine flache Scheibenwelt mit royal bestuhlter Wartehalle im Hintergrund, in deren Mitte eine andauernd rotierende Kamera, die die auf ihren Auftritt wartenden Schauspieler zeigt, nebst Kaffeemaschine und Kühlschrank. Sieben Türen führen ins Freie, in die absurde Welt der Boshaftigkeit, in die schwarz weiße Spiegelung, wo der Propeller die Aerosole quirlt, während der König sein Königreich verspielt und in den Wahnsinn getrieben wird. Pierre Bokma beugt im Prolog als Lear schon mal vor. Er sei eben ein alberner und altersschwacher alter Mann und vielleicht auch nicht ganz bei Sinnen. Man solle nicht über ihn lachen. Das Ende rückt an den Anfang, das Vorne nach hinten. Dann reitet Lear durch seine Verzweiflung, hockt herum, bettelt, fleht, doch er hat sein Reich den beiden Töchtern mit ihren alternativen Wahrheiten vermacht und die aufrichtige Cordelia, obwohl immer unter Strom (großartig Anna Drexler, sie ist auch ein klasse Narr) verstoßen.
Die Neuübersetzung von Miroslava Svolikova schleift den Shakespeare wie ein Bildhauer, verpasst ihm einen zeitgenössischen Mantel, den aber wohl auch nur der tragen kann, der die Tragödie selbst als performativen Akt formt. In Bochum werden Rollenklischees über Bord geworfen, Protagonisten doppelt besetzt, was die Konzentration auf den Text bündelt, die Dramaturgie ab und an vom Drahtseil stürzen lässt, wenn zwei Töchter zusätzlich mit Männern (Mourad Baaiz und Michael Lippold) besetzt sind, die sich auch noch um den bösen Bastard Edmund (Patrick Berg) streiten und ab und an Stefan Hunstein zum finalen Foltern losschicken.
Johan Simons inszeniert das alles fast museal, formt ein dreistündiges Gesamtkunstwerk aus akustischem Dauersturm und szenischer Bildermacht, streicht, bis nur noch Boshaftigkeit und Dummheit in leeren Räumen kollidieren, den Schauspielern ist das ja verboten. Am Ende führen die beiden Erzählebenen letal an die Rampe, auch der Graf von Gloster hat ja falsche Entscheidungen getroffen, der Narr weiß die Regieanweisungen final zu kommunizieren: Ohlalala, tot oder nicht, das sagt uns jetzt das Licht (Bernd Felder). Ob Lear am Ende seinen Frieden findet, das bleibt immer die große Frage. Als König ist das Nichts schwer zu ertragen, selbst mit Cordelia in den Armen.
King Lear | R: Johan Simons | 8., 9.10. 19.30 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55
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