Warum ich in die Stadt gezogen bin? Ich gehe gerne ins Kino, ins Theater ... Klar, klar, die gängigen Argumente, ist mir klar. Ich bin nix Besonderes, auch nicht in meinen Bedürfnissen. Das weiß ich. Aber es gibt noch einen Grund für mich, in der Großstadt zu leben, der dürfte mich von den meisten Menschen unterscheiden. Ich will keinen Garten haben. Auf keinen Fall! Noch nicht mal einen Balkon, der mich ständig anquengelt: Komm schon, bepflanze mich! Ich will das alles nicht. Ich kriege keinen verspäteten Eisprung, wenn es wächst und sprießt, ich winsele nicht vor Glück, wenn ich selbstgezüchtete Tomaten esse. Meinen wenigen Zimmerpflanzen sage ich regelmäßig: Seht zu, dass ihr klarkommt. Mehr als ein paar unregelmäßige Tropfen Wasser kann ich euch nicht bieten. Ich habe keinen grünen Daumen, und ich will auch keinen. Mein Daumen hat sich beim vielen Windelnwechseln meiner Kinder, beim vielen Kleintierkäfigsaubermachen der Kleintierkäfige diverser Hamstermeerschweinkaninchen meiner Kinder, beim vielen Geburtstagskuchen-Backen und Pflaster auf aufgeschlagene Knie-Kleben irgendwie ne Pflegephobie gefangen. Mir reicht es, meine Zähne und mein Konto pflegen zu müssen. Vor ein paar Jahren erzählte mir ein Bekannter, ein Kubaner aus Havanna, dass Freunde seiner Familie mitten im Großstadtgetümmel Havannas heimlich eine Kuh auf ihrem Dach gehalten haben, um ihre Armut mit ein paar Gratislitern Milch zu lindern. Das hat mir eingeleuchtet. Aber dass wir hier in Deutschland so naturverarmt sind und uns freiwillig Gärten auf Dächern ans Bein binden: Irgendwie leuchtet das meinem müden Daumen nicht ein.
Nicht bei einer Mottoparty als Radieschen aufkreuzen
Ich bin auch, was das Bewundern fremder Gartenerzeugnisse angeht, ein gebranntes Kind. Meine Mutter war eine sehr überzeugte Hobbygärtnerin, und jeden Sonntag wurden wir Kinder zwangsabgestellt zum vormittäglichen Bewunderungsrundgang durch ihren Garten. Wir mussten uns ergießen über die wunderwunderbare Staudenrabatte und das herrrrrliche Tränende Herz. Anschließend mussten wir beim sonntäglichen Mittagessen frohlocken ob des zart so zarten, eigenen Salats. Und jetzt soll das alles wieder von vorne losgehen? Dafür bin ich nicht in die Stadt gezogen! Spätestens wenn ich zum ersten Mal von Freunden eingeladen werde, mit ihnen aufs Dach zu klettern, um ihren schönen Rittersporn zu bewundern, oder auf einer lustigen Mottoparty als Radieschen aufkreuzen muss und bei fröhlichen Bewässerungsspielchen mit Gießkannen über Dächer turne, spätestens dann ziehe ich wieder aufs Land. Oder ich fange an zu rauchen. Und dann quetsche ich in unbeobachteten Momenten Zigarettenkippen in urbane, städtische Dachgartengurkenbeete oder setze heimlich Hamster und Schildkröten in den Dachgärten aus. Denn auch wenn meine Kinder inzwischen nicht mehr bei mir wohnen, das ein oder andere Kleintier ist irgendwie bei mir hängengeblieben. Und auch wenn ich keinen grünen Daumen habe, einen fruchtbaren Blick scheine ich noch immer zu haben. Die Viecher werden konstant von mir schlecht behandelt und vermehren sich weiter und weiter ungeniert. Vielleicht mutieren diese Viecher unter dem untervögelten Pflegetrieb meiner urbanen Gärtnerfreunde ja sogar zu unentdeckten Nutztieren und geben Milch. Und dann: ab nach Havanna! Ich glaube, dann komm ich mit.
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