trailer: Herr Dziewior, nach Medienberichten befürwortet Kulturstaatsminister Wolfram Weimer wegen verfassungsrechtlichen Bedenken eine Abschaffung des Kulturpasses für junge Menschen. Was sagen Sie dazu? [Der Pass wurde 2023 von der Ampelregierung eingeführt. Zuletzt erhielten Nutzer via App den Zugriff auf ein Budget von 100 Euro für Konzerte, Theater- oder Museumsbesuche; Anm. d. A.]
Yilmaz Dziewior: Ich finde es ein falsches Zeichen, weil es wichtig ist, junge Leute früh an die Kultur heranzuholen. Der Pass war dafür bisher ein gutes Werkzeug.
In den vergangenen Jahren standen einige städtische Museen vor der Frage Sanierung, Generalsanierung oder Neubau? Nach dem Kölnischen Stadtmuseum und dem Römisch-Germanischen Museum ist aktuell die Diskussion um den baulichen Zustand des Museums für Angewandte Kunst entbrannt. Wie steht es um Ihr Haus?
Es ist keine Neuigkeit, dass auch wir einen Sanierungsbedarf haben. Wir haben das mit einer externen Agentur vorbereitet. Es gibt Räume, die teilweise schwer zu erreichen sind. Wir wollen vor allem Fragen der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Das Ganze geht mit der Philharmonie einher, mit der wir ja in einem Gebäude sind. Das Projekt wurde aber von der Stadtspitze „depriorisiert“. Wir werden jedoch nicht abwarten, sondern sind in einem Prozess zur Erhaltung der Funktionstüchtigkeit des Hauses. Mal sehen, ob das nächste Stadtoberhaupt bei der Depriorisierung bleibt. Das Museum Ludwig ist ein Leuchtturm der Stadt. Man muss sich aber auch um diesen Leuchtturm kümmern. Dazu braucht es auch den politischen Willen.
Wann könnte die Sanierung starten?
Dafür müssten wir ausziehen. Das könnte 2033/34 sein.
Wo würde es Sie dann hinziehen?
Ich könnte mir das gut auf dem Areal des Deutzer Hafen vorstellen.
„Wir bilden nicht nur gesellschaftliche Fragen ab, sondern gestalten sie auch mit“
In Zeiten des Haushaltsdefizits wird gespart. Das Gefühl, es trifft zuerst Kunst und Kultur, ist für Künstler:innen allgegenwärtig. Vor allem kleineren Betrieben und der freien Szene werden Fördermittel entzogen, gleichzeitig sonnen sich Verwaltung und Politik im Glanz der Kunststadt Köln. Ist Köln Anno 2025 noch „die“ Kunststadt?
Die Diskussion um den Begriff „Kunststadt“ finde ich persönlich müßig. Ich kann nur feststellen, dass wir mit vielen Museen kooperieren, beispielsweise dem Museum of Modern Art in New York oder dem Centre Pompidou in Paris. Das färbt auch auf die Metropole ab. Leider kam es in der Vergangenheit zu einigen Schließungen, etwa die Kunsthalle oder zuletzt die Akademie der Künste der Welt. Das tut der Stadt nicht gut. Es bewirkt, dass Köln als Kunststadt weniger sichtbar ist. Wir brauchen mehr dieser Institutionen, nicht weniger.
Ist das Museum Ludwig so selbstverständlich wie der benachbarte Dom, heißt, wäre eine Reduzierung oder gar Schließung der Stätte aus finanziellen Gründen denkbar?
Das Budget für unser Programm erwirtschaften wir fast vollumfänglich selbst durch Eintrittspreise oder Förderer und Sponsoren. Wenn man beim Museum Ludwig noch einsparen wollte, müsste man Menschen entlassen und das Licht ausknipsen. Ich kann mir solch ein Szenario nicht vorstellen. Das will auch keiner. Ich weiß aber nicht ob es so selbstverständlich ist, dass alle Kölner:innen die Kunstangebote wahrnehmen. Dafür bedarf es großer Anstrengungen, zum Beispiel um Kinder und Jugendliche an das Museum heranzuführen. Es geht ja nicht nur darum, die Leute ins Museum zu bringen, die eh kommen, sondern auch Menschen, die uns sonst nicht besuchen – auch, weil sie nicht das Geld für den Eintritt haben.
Dafür wäre der Kulturpass nicht schlecht.
Genau.
„Wir müssen die Politik überzeugen, wie wichtig Kunst und Kultur sind“
Sie sind promovierter Kunsthistoriker, Kurator und Herausgeber von Büchern. Zu wieviel Prozent müssen Sie als Museumsleiter auch Verwaltungsbeamter und Politiker sein?
Ich bin zu 85 Prozent Verwaltungsarbeiter. Das heißt, die wissenschaftliche kunsthistorische Arbeit mache ich am Wochenende oder sonst in meiner Freizeit. Das weiß man aber, wenn man sich um solch einen Posten bewirbt.
Ich möchte mir eine These erlauben: Nachdem die Politik sowie die Religionen versagt haben, ist es an der Kunst, Frieden, Verständnis und Utopien zu schaffen, denn nur hier gibt es noch den Mut zu Visionen und ernst gemeintem multikulturellem Austausch, der nicht von Machtgedanken geprägt ist. Was sagen Sie dazu?
Das hört sich sehr pathetisch an, aber inhaltlich kann ich da andocken. Es gab eine Umfrage, die sich mit der Glaubwürdigkeit von Institutionen befasst hat. Da wurde der Kultur die höchste Glaubwürdigkeit zugesprochen. Ich glaube, das liegt daran, dass wir Stätten sind, wo eine Diskussion möglich ist, in der wir uns nicht tagespolitisch positionieren. Wir bilden nicht nur gesellschaftliche Fragen ab, sondern gestalten sie auch mit. Mit jeder Ausstellung, die wir zeigen, gehen wir auch auf gesellschaftliche Fragestellungen ein, etwa Queerness oder das Verhältnis des Menschen zur Natur. Man sieht anhand von Politikern wie Donald Trump, der in den USA die Wissenschaft und die Künste beschneidet, welche große Wirkmacht die Kultur hat. Ein anderer Aspekt der Kultur ist ihr Effekt auf die Sozialisierung von jungen Menschen. Wenn Personen schon kriminalisiert sind, ist es viel schwieriger und auch teurer diese Gruppen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Es ist viel sinnvoller, hier vorher anzusetzen, denn Kultur hat einen unglaublichen Impact für die persönliche Entwicklung junger Menschen und ihr Selbstwertgefühl. Ich komme selbst aus einem bildungsfernen Hintergrund. Mich hat die Kunst gerettet, weil sich dadurch neue Perspektiven eröffnet haben. Wir müssen die Politik immer von neuem überzeugen, wie wichtig Kunst und Kultur sind.
Spüren Sie einen gesellschaftlichen Erwartungsdruck, beispielsweise zur künstlerischen Reaktion auf Krisen?
Wir haben ein sehr breitgefächertes Publikum und werden vom Bildungsbürgertum der Stadt unglaublich stark unterstützt. Die meisten Menschen wollen gerne sehen, was sie kennen. Viele sind erstmal ablehnend, wenn sie mit etwas Unbekanntem konfrontiert werden. Das ist für uns immer eine Herausforderung. Die Leute fremdeln zunächst. Es ist ein stetes Austarieren. Ich höre oft den Wunsch nach mehr „Blockbustern“. Es ist unsere Aufgabe, viele Menschen ins Haus zu holen. Ich verstehe uns dabei auch als Bildungsinstitution. Wenn wir Warhol machen, dann zeigen wir den queeren Warhol und den Warhol als Kind von Einwanderern, also mit einer aktuellen Perspektive. Wir präsentieren die Stars mit einer Perspektive, die belegt, dass die großen Errungenschaften der Demokratie, beispielsweise die Gleichberechtigung für homosexuelle oder queere Personen in Gefahr sind.
„Man würde etwas falsch machen, wenn es nie Kritik gäbe“
Was war der größte Shit-Storm, den Sie als Museumsdirektor bisher erlebt haben?
Es gab nicht den einen Shit-Storm aber immer wieder Kritik. Es sei zu „woke“ oder zu „politisch korrekt“. Ich frage dann, was das heißt? Soll ich also lieber verschlafen als aufgeweckt sein? Auch, wenn es die absolute Ausnahme war, sind Leute erbost aus der Ausstellung „Die Grüne Moderne“ herausgegangen, weil sie sich belehrt gefühlt haben. Zu denken, dass Museumsarbeit immer positiv aufgenommen wird, ist naiv. Es gibt sehr viel positives Feedback, das anerkennt, was an diesem Haus geleistet wird. Das internationale Renommee ist hoch. So wurde ich als Direktor des Museum Ludwig in die Findungskommission der Documenta berufen. Man würde etwas falsch machen, wenn es nie Kritik gäbe.
Welches Kunstwerk hat sie zuletzt provoziert?
Eher zum Nachdenken angeregt. Ich war auf der Berlin-Biennale. Die fand ich sehr interessant. Das waren künstlerische Positionen, die auf extreme Situationen reagiert haben. Gleichzeitig war es eine sehr poetische Ausstellung. Das hat mich bewegt. Aber auch die Ausstellung von Wolfgang Tillmans im Centre Pompidou fand ich stark. Ich kenne ihn seit dem Beginn seiner Karriere. Die Ausstellung hat mich umgehauen. Ich habe ihn nochmal anders wahrgenommen. Auch die Arbeit an unserer nächsten Ausstellung hat mich immer wieder überrascht. Wir zeigen „Fünf Freunde“ mit John Cage, Merce Cunningham, Jasper Johns, Robert Rauschenberg und Cy Twombly. Was ich da gelernt habe, ist, dass man diese bekannten Künstler nochmal neu kennenlernen kann. Das war für mich eine sehr erhellende Einsicht.
Nochmal zur Legislative: Was halten Sie von einem bundesweiten Sondervermögen zur Stärkung der Kultur? Wie hoch müsste das sein?
Es kann nicht hoch genug sein, und ich würde das hundertprozentig befürworten.
„Ein bundesweites Sondervermögen zur Stärkung der Kultur kann nicht hoch genug sein“
In der aktuellen Ausstellung von Pauline Hafsia M’barek „Entropic Records“ geht es um die Verflechtung von fotografischer Materie, Zufälligkeit, Unordnung, Ordnung, Konservierung und Zerfall im Zuge der Archivierung – sozusagen die Dokumentation des Mikro- im Makrokosmos. Stellen Sie sich eine fokussierte Bildaufnahme von sich vor. Was wäre da zu sehen?
Ein fokussierter Yilmaz Dziewior? Schwierig zu sagen. Jemand, der an gesellschaftlichen Fragestellungen interessiert ist. Gleichzeitig glaube ich auch an die formale Wirkmacht der Kunst.
Aber wie sieht das aus?
Das ist ein Abbild des Museumsprogramms. Da sehen sie einen Teil von mir und vor allem auch des Teams.
Dann stelle ich mir eine Collage aus alldem vor.
Das hört sich gut an.
Wie lauten Ihre Pläne für 2026?
2026 wird das Museum 50 Jahre alt. Wir begehen dieses Jubiläum mit einer Vielzahl von Aktivitäten und Präsentationen, zum Beispiel mit einer großen Retrospektive von Yayoi Kusama. Damit feiern wir eine der Stärken unseres Hauses, die Pop Art, in dem Fall die japanische Variante. In der zweiten Jahreshälfte zeigen wir eine große Ausstellung, in der es um die transatlantische Moderne geht. Es geht um Positionen, die in unserem Haus sein müssten. Wir schauen also auf die Fehlstellen innerhalb unserer Sammlung. In der Mitte des Jahres gibt es ein großes Bürger:innenfest bei freiem Eintritt mit Workshops.
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Kulturschock
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Teil 2: Leitartikel – Wer Kunst und Kultur beschneidet, raubt der Gesellschaft entscheidende Entwicklungschancen
Kultur am Kipppunkt
Teil 2: Lokale Initiativen – Bruno Wenn vom Kölner Kulturrat über die Lage der städtischen Kulturhäuser
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Teil 3: Leitartikel – Wie Wolfram Weimer sein Amt versteht
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