Wer in der freien Kulturszene aktiv ist, macht gerne Wortwitze auf eigene Kosten – in mehrfachem Sinn: frei von Einkünften, frei von Sicherheit, frei von Perspektive. Was die echten Kosten angeht: Sie übersteigen regelmäßig die Einnahmen. Dabei sollte „frei“ in dem Kontext heißen: frei von Erwartungen und Zwängen und frei, eine künstlerische Form zu wählen. In einem System, das dem Fetisch Ware huldigt, bleibt es allerdings ein komplizierter Kampf, das eigene Überleben zu sichern.
Die freie Theaterszene ist deshalb, wie so viele andere Kulturbereiche auch, von staatlicher und kommunaler Förderung abhängig: Der Eintritt allein reicht in der Regel kaum aus, um laufende Kosten zu decken. Ordentlich dotierte Preise werden auch nicht wöchentlich vergeben und der Pakt mit der Werbeindustrie ist aus guten Gründen verpönt. Auch autonome Geister:innen hoffen deshalb, dass ein besseres Leben jenseits der Kulturindustrie möglich ist und – den Widerspruch zwischen Autonomie und Bürokratie ausblendend – auf den Staat und dessen Gnade, dieses Leben zu ermöglichen.
Autonomie und Bürokratie
Doch diese Gnade schwindet. Zwei Vorhaben der nordrhein-westfälischen Landesregierung alarmieren die freien Bühnen: Es soll Mindestgagen für alle Bühnen geben, an deren Förderung das Land beteiligt ist. Das trifft laut NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste [s.a. das Interview auf der folgenden Seite] rund 35 freie Theaterhäuser und zahlreiche kleinere Ensembles. Die höheren Gagen ohne erhöhte Budgets kämen einer deutlichen Etatkürzung gleich. Mögliche Folgen: Vorstellungen fallen aus, manche Bühnen müssten schließen.
Gleichzeitig reduziert das Land die Spitzenförderung, ein Programm zur Unterstützung herausragender Ensembles der freien darstellenden Künste, um rund 50 Prozent. Das trifft auch freie Theatergruppen, die zum Teil mit den freien Bühnen kooperieren, als Aushängeschilder NRWs gefeierte Ensembles müssten mit deutlich weniger Geld auskommen – oder fallen ganz aus der Förderung.
Angriffe von rechts
Erschwerend kommt hinzu: Das Pendel im Kampf um die kulturelle Hegemonie schlägt immer heftiger nach rechts aus. Wer den Kulturbegriff der (extremen) Rechten kennt, weiß, dass dort kein Platz für die Avantgarde ist. Autonome Kunst wird als „linksgrün-versifft“ bezeichnet – früher hätte man gesagt: „entartet“. Das moderne Theater gilt als Relikt der Achtundsechziger, einem Hauptfeind der Reaktionären und Rechten. Die Klischees haben die Jahrzehnte überdauert: Kaputte Typen, Lärm, Schmutz, nackte Haut und Gewalt gehören sich nicht, erst recht nicht auf Theaterbühnen, nach dem Motto: Spielt nicht mit den Schmuddelkindern.
Die AfD steht in dieser Tradition. Bislang ist sie nicht an der Macht und kann so nicht in die Förderung eingreifen, aber allein die Drohung genügt, dass „etablierte“ Parteien in vorauseilendem Gehorsam dort sparen, wo es zwar finanziell wenig zu holen gibt, es sich aber ideologisch gut anfühlt – auch für CDU, CSU und Teile der SPD.
Mieses Schauspiel
Autonomes Theater kann den gesellschaftlichen Bedingungen nicht entkommen, weder ökonomisch noch politisch. Es kann aber als Kunst, die aus nicht entfremdeter Arbeit entsteht, der bürgerlichen Gesellschaft ihre Widersprüche vorhalten – um Theodor W. Adornos „Ästhetische Theorie“ zu paraphrasieren. Eine Gesellschaft, die dies nicht aushält oder die es sich nicht mehr leisten will, ist der Barbarei ausgeliefert.
Autonomen Künstler:innen und ihrem Publikum bleibt angesichts dieser Verhältnisse nur übrig, sich von diesem miesen Schauspiel nicht unterkriegen zu lassen, indem sie erst recht von ihrer künstlerischen Kraft Gebrauch machen.
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Kulturschock
Intro – Kunst & Kultur
„Ich glaube schon, dass laut zu werden Sinn macht“
Teil 1: Interview – Freie Szene: Die Geschäftsführerin des NRW Landesbüros für Freie Darstellende Künste über Förderkürzungen
Zwischen Bar und Bühne
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Neuland als kulturelles Experiment im Bochumer Westend
Inspiration für alle
Teil 2: Leitartikel – Wer Kunst und Kultur beschneidet, raubt der Gesellschaft entscheidende Entwicklungschancen
„Mich hat die Kunst gerettet“
Teil 2: Interview – Der Direktor des Kölner Museum Ludwig über die gesellschaftliche Rolle von Museen
Kultur am Kipppunkt
Teil 2: Lokale Initiativen – Bruno Wenn vom Kölner Kulturrat über die Lage der städtischen Kulturhäuser
Der Kulturkampfminister
Teil 3: Leitartikel – Wie Wolfram Weimer sein Amt versteht
„Kultur muss raus ins Getümmel“
Teil 3: Interview – Philosoph Julian Nida-Rümelin über Cancel Culture und Demokratie
Querschnitt der Gesellschaft
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Kulturbüro Wuppertal als Partner der freien Szene
Die Kunstinitiative OFF-Biennale
Wer hat Angst vor Kunst? – Europa-Vorbild: Ungarn
Was hat Kultur denn gebracht?
Eine Erinnerung an Nebensächliches – Glosse
An den wahren Problemen vorbei
Teil 1: Leitartikel – Journalismus vernachlässigt die Sorgen und Nöte von Millionen Menschen
Teuer errungen
Teil 2: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
Journalismus im Teufelskreis
Teil 3: Leitartikel – Wie die Presse sich selbst auffrisst
Die Unfähigkeit der Mitte
Teil 1: Leitartikel – Der Streit ums AfD-Verbot und die Unaufrichtigkeit des politischen Zentrums
Hakenkreuze auf dem Schulklo
Teil 2: Leitartikel – Wo Politik versagt, haben Rechtsextremisten leichtes Spiel
Faschismus ist nicht normal
Teil 3: Leitartikel – Der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft – und was dagegen zu tun ist
Der Ast, auf dem wir sitzen
Teil 1: Leitartikel – Naturschutz geht alle an – interessiert aber immer weniger
Keine Frage der Technik
Teil 2: Leitartikel – Eingriffe ins Klimasystem werden die Erderwärmung nicht aufhalten
Nach dem Beton
Teil 3: Leitartikel – Warum wir bald in Seegräsern und Pilzen wohnen könnten
Heimat statt Pflegeheim
Teil 1: Leitartikel – Seniorengerechtes Bauen und Wohnen bleibt ein Problem
So ein Pech
Teil 2: Leitartikel – Opfer von Behandlungsfehlern werden alleine gelassen
Privatvergnügen
Teil 3: Leitartikel – Die Zweiklassenmedizin diskriminiert die Mehrheit der Gesellschaft