Ständig Freiheit im Mund führen, dann aber Verbote erlassen, das scheint offenkundig der Stil des von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zum Kulturstaatsminister ins Kanzleramt berufenen Wolfram Weimer (parteilos) zu sein. Der Publizist und kulturpolitische Quereinsteiger arbeitete zuvor für FAZ, Welt, Berliner Morgenpost und Focus und gründete später das rechtskonservative Magazin Cicero. Anfang August trat er eine ziemliche Welle los, als er seiner Behörde „die Verwendung gendergerechter Sprache in offiziellen Schreiben“ verbot: „Beim Beauftragten für Kultur und Medien im Kanzleramt gelten die Regeln der deutschen Sprache. Im Kanzleramt wird in Briefen, Emails und Vermerken nicht gegendert“, tönte der 60-Jährige in der Bild am Sonntag. Er kündigte an, zukünftig werde in der öffentlichen Kommunikation „auf Sonderzeichen wie Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche“ verzichtet. Begründet wurde das Verbot mit „sprachlicher Klarheit, rechtlicher Eindeutigkeit und allgemeiner Verständlichkeit“ als Kennzeichen von staatlicher Kommunikation.
Vermögenssteuer oder Gendern
Im Fortgang der Debatte lehnte sich Weimer dann recht weit aus dem Fenster und forderte von allen „halbstaatlichen oder öffentlichen Institutionen, die Regelsprache zu verwenden anstatt ideologischer Kunstsprachen“. Immerhin seien 60 bis 80 Prozent der Menschen in Deutschland „gegen Gender-Sprechformen“ und das sollte respektiert werden, „wenn man im öffentlichen Auftrag oder mit öffentlichen Geldern kommuniziert“. (Dass ebenso viele Menschen auch meinen, die Einkommen, Vermögen und Erbschaften Reicher sollten höher besteuert werden, scheint den CDU-nahen „Jungpolitiker“ indes nicht sonderlich zu jucken.) Solche sprachpolizeilichen Forderungen mit ebenjenen Geldern zu verquicken, mit denen die Behörde des konservativen Kulturkämpfers Kulturinstitutionen fördert, hatte Züge einer erpresserischen Drohung.
Amtsdeutsch
Es mag den einen oder die andere vielleicht überraschen, aber „Sonderzeichen wie Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche“ können durchaus ein Ärgernis darstellen, wenn auch weniger wegen der von Weimer apostrophierten Gründe. Oder wann hat eine deutsche Behörde je ein Schreiben aufgesetzt, das allgemein verständlich, einigermaßen verbindlich oder gar halbwegs sprachlich gelungen gewesen wäre – man denke nur ans Finanzamt? Um unverständlich zu sein, braucht eine deutsche Behörde ganz sicher keine Gendersternchen.
Gendern ist billig
Dennoch kann Kritik an gendergerechter Sprache berechtigt sein. Es lässt sich bezweifeln, dass die erzidealistische Erwartung, mit eingestreuten Platzhaltern in der Sprache – ob geschrieben oder gesprochen – tatsächlich zur Besserstellung nichtmännlicher Geschlechter beiträgt. Es ist durchaus eine progressive Perspektive denkbar, für die der Furor, mit dem manch Liberaler und manche Linke um das Gendern streitet, vor allem „billig“ ist. Denn nirgends wird durch Gendern auch nur ein Euro mehr locker gemacht oder auch nur eine Rechtsnorm geändert, die zu wirklich spürbarer Entdiskriminierung oder Schutz vor Diskriminierung führt. Aus dieser Perspektive ist Gendern lediglich wohlmeinend, aber weder zwingend noch nachhaltig. Dennoch: Kulturinstitutionen das Gendern zu verbieten, nur weil sie aus einem öffentlichen Topf Förderung erhalten, das ist für einen selbsternannten Freund der Freiheit, wie Wolfram Weimer, doch arg autoritär.
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