trailer: Herr Alexander, steht ein Kaufhaus in der City leer, ließe es sich doch anders nutzen, etwa als Studentenwohnheim. Wie schwierig ist so etwas?
Constantin Alexander: Das sind mehrere Faktoren: Lässt es sich von jetzt auf gleich oder mit bestimmten Materialien, Ressourcen und finanziellen Ressourcen umbauen, also die technische Transformierbarkeit? Beim Kaufhaus ist das große Problem das Tageslicht. Das sind zum Teil sehr, sehr tiefe Etagen. Der zweite Faktor ist die Finanzierbarkeit: Wie hoch ist der Return on Invest? Das dritte sind die Genehmigungsprozesse. Ist es überhaupt juristisch effizient möglich, ein Gebäude von einer gewerblichen Nutzung beispielsweise in eine Wohnnutzung umzubauen? Dadurch wird die Sache ein Stück weit kompliziert.
Ist da die Politik gefordert?
Definitiv ja. Auf der Bundesebene brauchen wir schlicht andere Gesetze, um mit diesen Obsoleszenz-Risiken umzugehen. Auf der lokalen Ebene kommt es ein bisschen darauf an. Im Ruhrgebiet beispielsweise haben wir leider den Fall, dass ganz viele Städte im Notfallhaushalt sind. Das heißt die finanzielle Ausstattung fehlt einerseits, um selber aktiv zu sein, andererseits, um beispielsweise einen Eigenanteil bei bestimmten Städtebauförderprojekten einzubringen.
Spüren Sie Widerstände, wenn Sie über Modelle für zeitgemäße Städte referieren?
Definitiv. Dazu muss man aber sagen, diese Zeit ab den 60er Jahren bis Anfang der Nullerjahre, das war eben nicht die Normalität, diese florierenden Innenstädte, stark ausgerichtet auf gewerbliche Nutzung, dazu vielleicht noch ein bisschen Gastronomie, ein bisschen Kultur. Das ist einfach vorbei. Allein schon durch den Internethandel. Das wird auch so nie wieder zurückkommen. Aber waren das wirklich bessere Städte? In Diskussionen berichten Menschen oft, wie lebendig sie beispielsweise italienische oder niederländische Städte empfinden. Aber dort gibt es eine andere Mischung, hier wird nicht nur gearbeitet und eingekauft, sondern auch gewohnt. Im Grunde so, wie vor dem Zweiten Weltkrieg bei uns auch. Da müssen wir wieder hin.
„Wir schaffen gerade neue Fehler“
Haben wir die Stadtviertel falsch sortiert?
Im Nachhinein lässt sich das so sagen. Die Trennung in Quartiere zum Wohnen, zum Arbeiten und zum Einkaufen, das ist aus heutiger Sicht falsch. Man muss das aber im Kontext sehen: Das kam aus einer Zeit, in der Arbeiten überwiegend industrielle Arbeit war, sprich laut und schmutzig. Und da ist es auch verständlich, dass man das vom Wohnen trennen wollte.
Teils gibt es schon Verbote, freistehende Einfamilienhäuser zu bauen. Wird das zunehmen?
Da bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, weil das natürlich auch eine emotional aufgeladene Diskussion ist. Ich finde, da geht es um Einzelfallentscheidungen. Einerseits ist es natürlich aus finanziellen oder ökologischen Gesichtspunkten schwierig, auf der grünen Wiese ein komplett neues Haus bauen. Andererseits gibt es einfach bei ganz vielen Menschen das Bedürfnis, nach etwas Eigenem, im Idealfall mit ein bisschen Garten. Ich weiß nicht, ob ein Verbot der richtige Ansatz ist.
„Wir wollen alles gleichzeitig. Aber das geht nicht.“
Warum gibt es so wenige Quartiere mit Vorbildcharakter?
Immer dann, wenn wir etwas neu planen und entwickeln, gehen wir von unserem Wissen in einem bestimmten Moment aus. Nehmen wir Extremwetterlagen, Klimawandel und Hitze – gerade problematisch für vulnerable Gruppen wie ältere Menschen. Wir wissen zum Teil nicht, was in zehn Jahren noch für Herausforderungen kommen. Angesichts Russlands Krieg in der Ukraine ist auch das Thema Sicherheit wieder relevanter für uns. Stadtplanung ist immer auch eine Momentaufnahme. Im Rückblick lassen sich dann manche Fehler identifizieren. Wir sind jetzt auch gerade wieder dabei, neue Fehler zu schaffen. Stichwort: Verdichtung. In den vergangenen Jahren wurde gesagt, wir müssen die Städte nachverdichten, weil die Nachfrage nach Wohnraum und gewerblicher Nutzung da ist. Jetzt merken wir, dass wir damit gleichzeitig Hitze-Inseln schaffen. Eigentlich müssen wir dabei entsiegeln, Raum schaffen für Grünflächen und Gewässer. Das sind Zielkonflikte. Wir wollen alles gleichzeitig, eine Atmosphäre wie in der Großstadt mit einem Feeling wie im kleinen Dorf. Aber das geht nicht. Wir müssen die Stadt als das wahrnehmen, was sie eben ist: Ein lebendiger Organismus, der sich die ganze Zeit weiterentwickelt. Immer, wenn wir etwas zu stark fixieren, landen wir in einer Sackgasse. Orte, die gut funktionieren, sind vielfältig. Da merken wir, dass eine Weiterentwicklung stattfinden kann.
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