Den Humor, die Selbstironie, gepaart mit Großspurigkeit, besaß Markus Lüpertz schon früh. Eines der zentralen Werke seiner Retrospektive in der Küppersmühle ist „Gegen Abend besetzen Störche Lüpolis“ (1977): ein 20-teiliges Ensemble, bei dem eine abstrakte Darstellung gleich auf fünf Tafeln nahezu identisch zu sehen ist. Im Zentrum stehen verschobene Dreiecke in Schwarz- und Braunschattierungen, darüber befindet sich ein Gelb. Links ist ein leuchtendes Rot zu sehen, das sich in Pinselabdrücke auflöst, welche rechts als Raster wiederkehren. Und von oben ragt eine unscharfe dunkle Partie ins Bildfeld: So einfach und so komplex ist es eben mit Markus Lüpertz. Der Titel hilft weiter, und wir sehen, wie die Stadt des Malerfürsten von oben aussieht. Abstrakt trifft auf konkret, und Fläche und Raum sind verschränkt, ja, die Malerei kippt dem Betrachter entgegen. Dass Lüpertz zu erstaunlichen Formaten und zu Serien neigt, bestätigt sich dann im ebenfalls querformatigen Gemälde „Westwall“ (1968), das in der Küppersmühle gegenüber hängt. Der Titel verweist auf das Bauvorhaben der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg, aber die Quader erinnern an eine Tafel Schokolade oder die Tastatur einer Schreibmaschine – oder doch an Reihen von Gräbern?
Hinter aller vermeintlichen Banalität steckt also eine große Ernsthaftigkeit, und damit ist sich Lüpertz bis heute treu geblieben, das belegt nun seine etwas füllige Ausstellung in Duisburg. Der Krieg ist ein Thema, der Tod sowieso. Lüpertz bezieht sich auf die Zeitgeschichte Deutschlands und die antike und die germanische Mythologie. Immer wieder kommt er auf den Totenschädel als Symbol zurück. Er widmet sich Helden wie Parzifal und greift das Verhältnis der Geschlechter zueinander auf. Daneben entstehen Paraphrasen der Kunstgeschichte insbesondere des Klassizismus. Eine Referenz: Italien. Die Suggestion von Licht und Schatten gelingt ihm perfekt, wobei er häufig erdige Farben verwendet – und all das führt er mit einer engagierten, dabei sehr präzisen Malerei aus, mit der er den Gegenstand geradezu aus der Farbe herausschält. Nicht zuletzt wegen solcher Bilder wird Lüpertz zu den „Vätern“ der expressiven jungen wilden Malerei der 80er Jahre gezählt.
Dass eine derartig aus der Farbmasse heraus entwickelte Malerei nach dem Pendant der Bildhauerei verlangt, ist naheliegend. Lüpertz‘ figürliche Skulpturen sind Malerei im Raum. Und draußen, im Stadtraum ecken sie an. Zu den Skulpturen gehören Mozart, Apoll und Herkules: verkrüppelt, den Körper verschoben, das Gesicht eine Fratze. Spätestens da wird klar, dass sich auch die Schönheit als Leitmotiv durch sein Werk zieht: als etwas, das sich u.a. in Individualität, Engagement und Geistesgröße äußert.
Die Ausstellung in Duisburg umspannt fünf Jahrzehnte und zitiert dazu Lüpertz‘ Titel seiner Einzelausstellung 1966 in der Galerie „Großgörschen 35“ in Berlin: „Kunst die im Wege steht“. Damals hatte er schon die „Dithyrambe“ als ein Leitmotiv seiner Malerei erfunden: eine Scheibenform, die, schräg von oben gesehen, aufgeschnitten ist. Nietzsches „Geburt der Tragödie“ zitierend, spielt Lüpertz damit auf das dionysische Lustprinzip der Antike an, mit dem Künstler als Schöpfer. Der Künstler ist Genie und Dandy und erfüllt damit eine Rolle, die er selbst als Malereiprofessor und Rektor der berühmten Düsseldorfer Kunstakademie von 1988-2009 innehatte: indem er ein Plädoyer für das Selbstverständnis des Künstlers auch in heutiger Zeit liefert. Natürlich ist Lüpertz kultureller Leuchtturm innerhalb der Gesellschaft und ein international anerkannter Künstler. Er tritt ebenso im Frack auf wie, gefilmt im Atelier, im Blaumann. Die Duisburger Ausstellung, die ihren Schwerpunkt auf die Malerei legt, würdigt zu seinem 75. Geburtstag das Gesamtkunstwerk Markus Lüpertz‘.
„Lüpertz – Kunst, die im Wege steht“ | bis 29.5. | Museum Küppersmühle in Duisburg | 0203 30 19 48 10
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