Unter einer Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP könnte eine Cannabis-Freigabe kommen.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) steht dem aufgeschlossen gegenüber, während die Gewerkschaft der Polizei (GdP) davor warnt.
trailer: Herr Peglow, trotz des Cannabis-Verbots wird immer mehr Haschisch und Marihuana konsumiert. Ist die Kriminalisierung von Drogen, insbesondere von Cannabis, gescheitert?
Dirk Peglow: Sagen wir mal so: Polizei und Justiz haben es in 50 Jahren Drogenbekämpfung nicht erreicht, dass Verfügbarkeit oder Preisgestaltung sich geändert hätten. Ganz im Gegenteil: Wir stellen fest, dass wir jährlich größere Mengen Rauschgift sicherstellen und die organisierte Kriminalität immer mehr Einnahmen generiert. Das geben auch die kürzlich herausgegebenen Zahlen des Bundeslagebilds Organisierte Kriminalität her. Wir müssen uns hinterfragen: Wo machen wir möglicherweise Fehler? Wie könnte eine zielführende Drogenpolitik aussehen?
Kaum ein Thema hat zu Beginn der Koalitionsgespräche von SPD, Grünen und FDP solche Wellen geschlagen wie eine mögliche Legalisierung von Cannabis. Wie positioniert sich der BDK?
Unsere Position ist nicht neu. Wir haben bereits 2014 im Rahmen einer Fachkonferenz begonnen, uns mit dem Thema Entkriminalisierung von Konsumierenden auseinanderzusetzen. Wir haben eine Beschlusslage aus 2019, die anregt, Tatbestände, die Konsumenten betreffen, aus dem Betäubungsmittelstrafrecht in das Ordnungswidrigkeitenrecht zu überführen. Das Ganze muss dann aber unter Begleitung von gezielten Präventions- und Hilfsmaßnahmen geschehen. Wir wollen nicht mehr, dass Menschen, die Rauschgift konsumieren – und das bezieht sich nicht nur auf Cannabis, sondern auf alle Stoffgruppen – mit dem Strafrecht verfolgt werden. Wir würden viel lieber den Konsumenten in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken und Gesprächs- und Therapieangebote im Hinblick auf das Suchtverhalten unterbreiten, um so bestenfalls eine Veränderung des Konsumverhaltens zu erreichen.
Sie spielen auf das portugiesische Modell an …
In der Tat lohnt der Blick nach Portugal: Dort werden seit 20 Jahren Menschen, die erstmalig mit Betäubungsmitteln erwischt werden, weder strafrechtlich noch nach dem Ordnungswidrigkeitsrecht verfolgt. Stattdessen findet vor Kommissionen zur Vermeidung des Drogenmissbrauchs ein Gespräch mit dem Konsumenten statt. Erst wenn Konsumierende mehrfach zu Terminen vor diese Kommission bestellt werden, kann es zu Bußgeldern oder zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit kommen. Besetzt sind die Kommissionen mit einem Juristen sowie zwei weiteren Mitgliedern, meist Mediziner, Psychologen oder Sozialarbeiter. Ziel ist es, über Drogen aufzuklären und Menschen vom Konsum abzubringen. Die Erfahrungen aus Portugal sind reichlich und man sollte schauen, ob man dieses System hier in Deutschland adaptieren kann. Darüber hinaus fordern wir seit langem eine unabhängige Enquetekommission, die sich der Thematik von wissenschaftlicher Seite nähert. Ich betone hier aber ausdrücklich – das ist in der Debatte in jüngster Zeit oft falsch dargestellt worden – dass der BDK strikt gegen eine Legalisierung von Drogen ist und für eine massive Verstärkung der Bekämpfung des illegalen Handels eintritt.
Im Gegensatz zu Liberalen und Grünen macht sich die SPD mittlerweile stark für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene, flankiert von Beratung und Prävention. Ein gangbarer Weg?
Was ich so höre, könnte das ein Weg sein, schon allein wegen des implizierten Verbraucherschutzes. Wer Drogen konsumieren will – und da brauchen wir uns nichts vormachen – kriegt auch welche. Wie aber der Wirkstoffgehalt ist, welche Verunreinigungen oder Streckmittel enthalten sind, entzieht sich der Kenntnis der Konsumenten. So gesehen überlassen wir derzeit den Gesundheitsschutz der organisierten Kriminalität, also jenen, die Drogen illegal verkaufen. Sie können sich sicher sein, dass Gesundheitsschutz da nur von geringem Interesse ist, da geht es um Profit.
Kritik für Ihren Vorschlag kommt aus der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sowie der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Ihre Kollegen von der DPolG haben jüngst wieder den alten Gassenhauer von der „gefährlichen Einstiegsdroge“ angestimmt. Was sagen Sie?
Mir ist keine Studie bekannt, die belegt, dass Cannabis eine Einstiegsdroge ist. Natürlich gibt es Drogenkarrieren nach dem Schema: vom Cannabis zum Heroin. Unstreitig ist aber, dass Cannabis ein gefährlicher Stoff ist! Jede Diskussion über eine Liberalisierung muss daher auf der Grundlage geführt werden, dass insbesondere der Cannabiskonsum im jungen Alter mit großen gesundheitlichen, vor allem psychischen, Risiken verbunden ist.
Ihre Meinung dazu? Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Verfolgung der Drogenkartelle“ – CONTRA Cannabis
Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei in NRW über die Verharmlosung von Cannabis – Gesellschaft 12/21
Abschiebungshaft und Rassismus
Veranstaltungsreihe „Anwält*innen für Demokratie und Menschenrechte“ in Bochum – Spezial 01/23
„Wir werden uns der Abbagerung in den Weg stellen“
Linda Kastrup über die geplanten Klima-Proteste in Lützerath – Spezial 01/23
„Die Welt ist ein Stück weit aus den Fugen geraten“
Bernhard Docke über die Entwicklung der Menschenrechte – Spezial 01/23
„Im Fußball fanden die Menschen den Halt“
Ben Redelings über die Bedeutung des Ballsports im Ruhrgebiet – Über Tage 01/23
„Typen wie wir verewigen einen Ruhrpott-Charme“
Gerrit Starczewski über seinen Film „Glanz, Gesocks & Gloria“ – Über Tage 12/22
Abwärtsspirale der Menschenrechte
Anwalt des einstigen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz in Bochum – Spezial 11/22
„Dieser Arbeitskampf bestimmte unser Leben“
Brigitte Sonnenthal-Walbersdorf über den Streik der Hoesch-Frauen – Über Tage 11/22
Fragen an Baerbock
Außenministerin beim Bürger:innendialog in Bonn – Spezial 10/22
Emotionaler Appell von Kölner Kinderchor
Musikvideo „Mer künnte Fründe weeden“ – Spezial 09/22
„Die Transformation liegt hier in der Luft“
Sofia Mellino über ihren Film „Future Ruhr“ – Über Tage 10/22
„Die junge Generation macht hier einfach ihr Ding“
Sandra Da Vina über die Kreativbranche im Ruhrgebiet – Über Tage 09/22
„Wir Ruhrgebietsmenschen sind kleine Gallier“
Hennes Bender über seine Asterix-Bände und den Charme des Potts – Über Tage 08/22
„Zeit, sich diverser zu präsentieren“
Rapper Schlakks über Potentiale und Kolonialismus im öffentlichen Raum – Über Tage 07/22
Das Trauma der Kurdinnen und die neue Weltpolitk
Amineh Kakabaveh in Bochum – Spezial 06/22
Einspruch gegen Aufrüstung
Aktion „Der Appell“ von Jan Dieren (SPD) – Gesellschaft 05/22
Eine klare Botschaft
Friedenskundgebung „Peace Please“ auf dem Kölner Heumarkt – Spezial 04/22
Utopien nicht nur für Frauen
Auftakt der Feministischen Aktionswochen Bochum – Spezial 03/22
Komplott-Kompott
Legendenbildung um einen Aggressor – Spezial 03/22
Solidarität mit der Ukraine
Friedensdemonstration gegen den russischen Überfall – Spezial 03/22
„Nicht nur zum Feiern zusammenstehen“
Stimmen von der Kölner Friedensdemo – Spezial 03/22
Sabotage für das Klima
Extinction Rebellion in Wuppertal
Appelle ans Miteinander
Kundgebung „Solidarisch durch die Pandemie“ am Bochumer Rathaus – Spezial 02/22
Ernas Geschichte
Zweitzeugen e. V. leistet Erinnerungsarbeit – Spezial 08/21