Der Februar muss stürmen und blasen, soll das Vieh im Lenze grasen. Was eher mal als Daumendicke Wetterregel galt, kann ungezwungen in Theatern verwendet werden. Rockt die zweite Spielzeithälfte, kann das Ensemble beruhigt in der Sommerpause relaxen im oder mit Gras, wie es beliebt oder regional erlaubt ist. Nur zur Beruhigung: Nicht überall dürfen öffentliche Wiesen auch betreten werden. Was sonst sollte gemeint sein? Also schauen wir auf den Hornung, das ist der alte deutsche Name für den Februar, wegen des reifen Rothirschs, der sich in diesen Wochen ein neues Gehörn besorgt. Der Teufel braucht das wohl nicht, er ist immer wie er ist, auch inArthur Millers „Hexenjagd“, wo gleich eine ganze Stadt in Aufruhr gerät, als eine Gruppe junger Mädchen nachts im Wald mit seltsamen Tänzen auffällt. Brennen muss Salem. Auch wenn das von einem anderen Autor stammt.
Miller hatte 1953 augenscheinlich die Kommunistenhatz der McCarthy-Ära vor Augen und nicht Marilyn Monroe (war ein paar Jahre später), er ließ das Theaterstück deshalb lieber an den Hexenprozessen 1692 in Salem/Massachusetts spielen. Am Bochumer Schauspielhaus inszeniert esDaniela Löffner(*1980) die am Theater Freiburg und Düsseldorfer Schauspielhaus begann und am Staatstheater Braunschweig Hausregisseurin war. Also muss die Maschinerie aus Angst, Aberglauben und Verdächtigungen im Februar auf der großen Bühne funktionieren.
Das muss „Das Bekenntnis eines Masochisten“ in Dortmund nicht. Die Deutsche Erstaufführung einer Groteske des tschechischen Dramatikers Roman Sikora über den Wahnsinn der kapitalistischen Arbeitswelt inszeniert der gebürtige Angolaner Carlos Manuel im kleinen Theater-Studio, wo er mit Kafkas „Prozess“ bereits einen ersten interessanten Eindruck hinterließ. Im „Bekenntnis“ hat es Herr M. schwer. Auf der Suche nach tiefgreifender Demütigung wird er in Zeiten des seichten Mittelmaßes einfach nicht fündig. Wo kann man noch wirklichen Schmerz erleben, wenn selbst im Domina-Studio die professionelle Herrin über Qual und Leid jedes Detail vorab durchsprechen will? Also muss alles anders werden. Herr M. propagiert Befriedigung durch Verausgabung. Herr M. kündigt seinen sicheren Job. Herr M. plädiert öffentlich für allgemeine Mehrarbeit und die Abschaffung der Freizeit. Seine Karriere beginnt ausgerechnet in der Gewerkschaft, wo er für grundlegende Sparmaßnahmen kämpft und die Entrechtung aller Arbeitnehmer durchsetzt. Aber ist das schon das Glück? Lassen sie sich überraschen, klingt das nicht irgendwie nach freiwilligem „1984“ -Horror?
Das Original gibt es glücklicherweise in Moers. Nicht ohne Grund. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat die Privatsphäre als überholt erklärt, Internetfirmen arbeiten gern mit der NSA zusammen und der Bürger verschenkt seine Daten freiwillig. Als George Orwells Roman 1948 unter dem Eindruck von Faschismus und Stalinismus entstand und eine Zukunft der totalen Überwachung prognostizierte, wurde das eher belächelt. Und doch liest es sich heute wie eine Wirklichkeit gewordene Vision, wobei die Realität Orwells Prognosen an Technik und Umfang längst überholt hat. Wen interessiert da noch das stürmen oder blasen?
„Hexenjagd“ | 28.2.(P) | Schauspiel Bochum | 0234 33 33 55 55
„Das Bekenntnis eines Masochisten“ | 12.2.(P) | Theater Dortmund | 0231 502 72 22
„1984“ | 7.2.(P) | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
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