Schon nach wenigen Minuten hat der Besucher die reale Welt verlassen und ist in einen Kosmos voller Knollennasen eingetaucht. Kein Wunder, der argentinische Zeichner Guillermo Mordillo (85) hat sich irgendwann dieses Markenzeichen erarbeitet, seine Figuren trollen sich seit Jahrzehnten durch die Welt, erkunden sie, verzweifeln auf komische Weise. Aber sie haben es schon Ende der 1960er auf die Titelseite des „Stern“-Magazins geschafft. Über 150 seiner selten gezeigten Originale sind in der Ausstellung „The Very Optimistic Pessimist“ im Oberhausener Schloss Ludwig zu sehen, dazu kommen 50 hochwertige Drucke seltener Motive. Wenn es auch seit 25 Jahren wieder einmal eine retrospektive Ausstellung in einem deutschen Museum ist, der Meister gibt seine Originale eben nur selten her, auch zum Leidwesen der Ausstellungsmacher. Das originale Sternheft liegt natürlich in der Vitrine, das erotische Original (ein nackter roter Backstein-Rücken) nicht weit weg an der schneeweißen Wand. Eigentlich ist dieser museale Kontext besonders interessant, wenn man die Motive aus der Entfernung noch nicht erkennen kann und nur die Farbenkonstellationen ein Muster bilden.
Richtig bekannt geworden ist Mordillo mit seinen Piraten. 1970 erschien diese Cartoon-Sammlung „Das Piratenschiff“ als Kinderbuch ohne Worte, es hatte aber von Anfang an das Potential auch Erwachsene in seinen Bann zu ziehen. Die wilde Horde schleppt das Schiff fast mehr, als dass sie es segeln, es fährt ihnen davon, sie stranden, bauen neu, stechen wieder in See, die Abenteuer gehen weiter. Grandios die Doppelseite mit dem Seeungeheuer und dem kleinen Piraten am Bug des Schiffes. Ihre Abenteuer füllen locker einen ganzen Raum. Mordillos Allegorien auf das Leben sind zeitlos, vielleicht manchmal auch unfreiwillig, und selten ungewollt politisch, obwohl: Die Freiheitsstatue in Häftlingskleidung besitzt fast Tagesaktualität und das Blatt, wo eine Knollennase mit Pinsel abgeführt wird, weil er das einzige rosa angemalte Haus sein eigen nennt – nun es fallen viele Regime auf der Welt ein, wo das nicht ungewöhnlich wäre.
Aus den ganz frühen Anfängen ist das Blatt „Duell auf dem Berg“ von 1949 in der Ausstellung, von dort war es für den überzeugten Walt-Disney-Fan (bis heute) in Buenos Aires ein weiter Weg bis zu den herrlichen Wimmelbildern, deren Erfinder auch Mordillo ist – denken wir nur an den schneeweißen Sportwahnsinn im argentinischen Nationalpark Nahuel Huapi. Aber erst einmal wurde es „nur“ Gebrauchsgrafik, Glückwunschkarten, Auftragsarbeiten in den USA, später auch in Paris. Mitte der 1960er dann etablierte er sich zunehmend auch in Deutschland. Er war damals einer der kommerziell erfolgreichsten Zeichner, seine Figuren kannte die breite Masse später auch durch die Werbe-Spots für die ARD-Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“. Heute lebt er zurückgezogen mit seinen Zeichnungen in Monaco. Und es werden natürlich täglich mehr. Denn Spaß macht es ihm immer noch, frei nach dem Zitat: „Humor ist der Geist, der inmitten des ewigen Lebenstanzes Pirouetten dreht.“
„Mordillo – The Very Optimistic Pessimist“ | bis Januar 2018 | Ludwig Galerie Schloss Oberhausen | 0208 412 49 28
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