Das Zechenhaus, das dreht sich immer rund herum… Mittendrin sind wir alle, oder besser alle, die wir im Pott überleben. Genau. Überleben in einer Metropole, die keine ist und nie war. „Komm gib mich mal ne Currywurst.“ Dat is dat Problem. Und jetzt ist auch noch Frank Goosens „Sommerfest“ im Prinz-Regent-Theater. Irgendwie wird das alles ein bisschen viel, Fiege-Pils getränktes Ohnsorg-Theater in ehemaliger Zeche. Ich mag Goosen nicht, nicht weil er wohl nur ein paar Meter entfernt wohnt, nicht weil er so ein Bochumer Kultur-Tausendsassa ist, nein – ich verweigere mich einfach konsequent gerade seiner theatralischen Deutungshoheit meiner eigenen Erinnerungen. Außerdem ist er für manche literarischen Erinnerungsfetzen bestimmt einfach zu jung. Die kann er nur vom Hörensagen kennen. Aber das Stück wird von Sönke Wortmann (den alten Fußballer) verfilmt mit Lucas Gregorowicz (ach Leander Haußmanns Theater Unten). Das reicht jetzt, ich heul gleich. Nein ich mag Goosen nicht, les ihn nicht und geh trotzdem mal hin ins Prinz-Regent-Theater, wo Romy Schmidt eine für mich überzeugende erste Spielzeit hingelegt hat. Basta.
Erst mal draußen ein Pils. Dann drinnen das Mysterium. Es beginnt mit Blitz und Donner und dem kleinen Kohlen-Wichtel, der einen jungen Mann umschwirrt. Und Edmund Stoiber faselt was vom Problembär. Wieso nix über den Münchner Hauptbahnhof? „Wohl dem, der jetzt noch eine Heimat hat.“ Oder hab ich mich verhört? Tatsächlich Nietzsche? Seufz. Ruhrpott artifiziell, das kann ja heiter werden. Die erst einmal nur scheinbar dünne Story drum herum: Onkel Hermann ist gestorben, Stefan Zöllner kommt aus München, um hier sein Zechen-Elternhaus zu verkaufen, er ist Schauspieler, dem in („schüttel“) Bayern das Engagement nicht verlängert wurde. Die Liaison mit Tollhaus-Anka dort läuft auch nicht so prickelnd. Und jetzt liegt er da auf der Bühne mit Restalkohol. Na toll. Und dann taucht Toto, der Versager auf, juckt sich am Sack und nimmt erstmal ein Morgenbier. Genau. Aber so war es hier nie. Oder doch? Verdammt, Goosen macht das clever. Ich kenne alle seine Figuren, egal wie sie in den Stücken heißen, ich bin mit ihnen groß geworden. Gemeinsam sind sie die Mauer, die die Menschen hier zurück- und letztlich zusammenhält. Fremdgeher Stefan ist wieder in den eigenen Ruhrgebiets-Kontakthof geraten und es wird dem Zuschauer schnell klar, er wird es schwer haben, wieder nach (ewige Fanfreundschaft) Bayern zurückzukommen.
Denn hier ist alles besser. Kein Meer, keine Berge, keine Arbeit und dennoch Heimat. Romy Schmidt inszeniert grandios locker, mit drei sich der Region aufopfernden Schauspielern, zwei von ihnen spielen alle Protagonisten um Stefan (Jost Grix) herum. Thomas Kemper die Männer und ältere Damen (!). Nermina Kukic jüngere Burschen (!) und Mädels und eben auch Charlie, Stefans große Jugendliebe. Bittersüß wird es also auch noch. Doch noch ist Slapstick-Modus mit Szenenapplaus in dem vom Wichtel drehbaren offenen Zechenhaus (klasse Bühne, Kostüme und Video und Banana-Rad mit Fuchsschwanz: Sandra Schuck) mit Mehrfachfunktion: Klümpchenbude von Tante Änne, Altersheim von Omma Luise, eine Wohnung in (boa, wo sind die Maischützen?) Dortmund und auch mal Gartenhäuschen in der Kleingartenanlage. Also alles ziemlich eng beieinander.
Eng beieinander waren auch mal Charlie und Stefan. Damals im Sandkasten, oder beim ersten Mal in der rot leuchtenden Laube zu „Je t'aime“. Und man fiebert fast der erneuten Liaison entgegen. Doch so einfach geht das nicht. Stefans Plan „Schnell rein, schnell raus, keine Gefangenen“ ist zwar schon perdu, doch er wehrt sich noch, Teil des „Liebespaares des Jahrhunderts“ zu werden. Doch wir Zuschauer wissen es natürlich längst besser. Der Fisch ist geputzt. „You‘ll Never Walk Alone“. Da konnte das Edgar-Wallace-Käuzchen krächzen wie es will. Ich gebe zu, es war ein schöner Abend, der endlose Erinnerungsfetzen während und nach der tollen Inszenierung im Prinz-Regent-Theater wehen lies. O.K., Frank Goosen, ich werde meine Meinung überdenken – vorerst.
„Sommerfest“ | R: Romy Schmidt | WA im September | Prinz-Regent-Theater, Bochum | 0234 77 11 17
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